V'22 Festivalinfo

Die diesjährige 60. Viennale feiert ihren offiziellen Abschluss am Montag, den 31. Oktober, am Vorabend des letzten Festivaltages, mit der Gala-Vorführung des Films UN BEAU MATIN von Mia Hansen-Løve in Anwesenheit von Hauptdarsteller Pascal Greggory. Das Festival freut sich über einen großartigen Erfolg bei der Jubiläumsausgabe: 73.700 Menschen besuchten dieses Jahr Veranstaltungen der Viennale, was einer Auslastung von 71% entspricht.

© Viennale/Alexi Pelekanos
Werner Herzog

Diese 60. Ausgabe war eine Feier des Kinos und des Zusammenseins“, freut sich Eva Sangiorgi über ihre fünfte Viennale als Direktorin des Festivals. „Wir alle haben es gespürt, in der Energie der vollen Kinosäle, in den eindringlichen Gesprächen zwischen Autor:innen und Publikum, in den Äußerungen all jener Menschen, mit denen wir durch die Filme so viele Erfahrungen geteilt haben. Wir sind mit großen Erwartungen an den Start gegangen – und sie wurden definitiv übertroffen!
Die Viennale hat gezeigt, dass sie ein besonderer Treffpunkt für alle ist, die das Kino lieben, seien es Fachleute oder Zuschauer:innen, und sie hat ihren guten Ruf unter den nationalen wie auch den internationalen Filmveranstaltungen gefestigt. Viele Besucher:innen haben bereits versprochen, nächstes Jahr im Oktober wieder in Wien zu sein.

Eine Festivalausgabe der Jubiläen geht zu Ende. Die 60. Viennale und der 80. Geburtstag von Werner Herzog waren zwei Anlässe, besondere, neue Erinnerungen zu schaffen, wie sie nur im Rahmen eines Filmfestivals entstehen können, im gemeinsamen Erleben und im direkten, zwischenmenschlichen Austausch.

Filme nicht „nur“ zu zeigen, sondern sie auch zu kontextualisieren und sie im Rahmen eines aktuellen Diskurses zugänglich zu machen, ist eine der Aufgaben, denen sich das Festival seit jeher verpflichtet fühlt.

Auch die Viennale 2022 hatte jede Menge Highlights zu bieten. Darunter war die Eröffnungsgala in Anwesenheit der Regisseur:innen des Eröffnungsfilms VERA, Tizza Covi und Rainer Frimmel, und der Hauptdarstellerin Vera Gemma. Wie in den vergangenen beiden Jahren und wegen so großen Zuspruchs wurde der Film am Eröffnungsabend in vier Viennale-Kinos gezeigt.

Drei ganz unterschiedliche Monografien, die vom Wiener Publikum sehr gut aufgenommen wurden, würdigten heuer drei absolut herausragende Filmemacher:innen. Die Arbeiten, welche die Viennale von der US-amerikanischen Regisseurin Elaine May zeigen konnte, offenbaren feinsinnigen Witz und feministisches Entrepreneurship bereits in der frühen Geschichte Hollywoods. Med Hondo, eine herausragende Persönlichkeit des panafrikanischen Befreiungskampfes, lässt in seinen Filmen tief in postkoloniale Traumata blicken, und zum 100. Geburtstag des iranischen Filmemachers Ebrahim Golestan bot die Viennale außergewöhnliche (Wieder-)Entdeckungen von Filmen zwischen Prosa, Poesie und Anthropologie.

In die zwielichtigen Welten der Spionagethriller konnte das Publikum im Rahmen der Historiografie zum argentinischen Film Noir abtauchen. Und vom Viennale-Publikum ebenfalls extrem gut angenommen wurde die in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Filmmuseum und dem National Archive of Japan kuratierte Retrospektive zu Yoshida Kijū.

Besonders prominent waren in diesem Jahr österreichische Filme vertreten. Standing Ovations gab es unter anderem für die Filme ELFRIEDE JELINEK – SPRACHE VON DER LEINE LASSEN und EISMAYER. Für besonderes Aufsehen sorgte die Entscheidung, Ulrich Seidls Film SPARTA zu zeigen und damit der Diskussion über Ethik und Produktionsbedingungen Raum zu geben.

Die Viennale selbst freute sich nicht nur über begeisterte Reaktionen in in- und ausländischen Medien, sondern führte auch in diesem Jahr ihre eigene Präsenz auf Social Media sowie mit spannenden Video- und Podcasts mit viel Freude weiter.

V'22 Trailer

 

Anlässlich ihrer 60. Ausgabe hat die Viennale sechs befreundete Filmemacher:innen, die unterschiedliche Positionen des Gegenwartskinos repräsentieren, darum gebeten, Festivaltrailer zu gestalten. Ihre kurzen Arbeiten differieren in Tonalität wie Emotion, doch alle sprechen sie vom Kino, seiner Geschichte und der Welt um uns herum.

 

VIENNALE-TRAILER 2022: LE SOLDAT - CLAIRE DENIS

Frankreich/Österreich 2022, 1 Minute

Wer erscheint, wenn wir uns im Spiegel sehen, uns sichtbar machen? Was verbergen wir an innerem Erleben vor den anderen? Claire Denis erinnert in einer doppelten Handbewegung zugleich an Jean-Luc Godard (1930–2022) und an den Schauspieler Michel Subor (1935-2022), der in vier ihrer Filme spielte und mit dem Denis auch privat eng verbunden blieb. Einer Szene aus Godards Algerienkriegsfilm LE PETIT SOLDAT (1960/63) stellt Denis eine Miniatur aus ihrem hypnotischen Werk BEAU TRAVAIL gegenüber, worin sie 1999 Godards Szene direkt zitierte. Michel Subor war Hauptdarsteller in beiden Filmen. Ihre jüngste Arbeit STARS AT NOON ist seinem Andenken gewidmet.

Viennale-Trailer 2022: WALDEN - RYUSUKE HAMAGUCHI

Japan/Österreich 2022, 2 Minuten

Von Hamaguchi, der allein im Jahr 2021 die zwei fantastisch zarten Filme WHEEL OF FORTUNE AND FAN- TASY und DRIVE MY CAR hingelegt hat, ist im Grunde nichts anderes zu erwarten. Wenn er uns drei ruhige Stunden lang in Atem halten kann, kann er auch unseren Puls in zwei Minuten entschleunigen. Die Kamera hält er nur drauf: Wasser, Wellen, Reflexionen von Ästen, Geräusche des Waldlebens, ein reines impressionistisches Werk des Innehaltens. Und plötzlich erklingen in dieser meditativen Welt, in die man da versinkt, ein paar kluge weibliche Sätze aus einer längst vergangenen Kino-Epoche und fühlen sich gleich ganz nah an – mehr erlaubt der Himmel nicht.

 

Viennale-Trailer 2022: SONGS FROM NAPLES - NARCISA HIRSCH

Argentinien/Österreich 2022, 1 Minute

„Rote Lippen soll man küssen“, sang einst Cliff Richard, und das ist wohl auch die erste Assoziation, die einem angesichts der geschürzten roten Frauenlippen kommt, die die 94-jährige deutsch-argentinische Experimentalfilmerin Narcisa Hirsch in SONGS FROM NAPLES in Großaufnahme präsentiert. Doch dann beißt der rote Frauenmund mit seinen blendend weißen Zähnen genüsslich in ein Stück rohe Leber und bekommt dabei etwas durchaus Raubtierhaftes. Hirsch, die sich in ihren Filmen immer wieder den Themen Frauen, Körper und Sexualität gewidmet hat, greift hier noch einmal auf ein Motiv (und das 16mm-Material) ihres Films CANCIONES NAPOLITANAS aus dem Jahr 1971 zurück.

VIENNALE-TRAILER 2022: INDEPENDENCE DAY - SERGEI LOZNITSA

Niederlande/Österreich 2022, 1 Minute

Im gegenwärtigen Kontext ist der titelgebende INDEPENDENCE DAY alles andere als nur eine weitere Marke in der Geschichtsschreibung. Vielmehr symbolisiert ein solcher tatsächlich und konkret und sehr spürbar die Freiheit der in Bedrängnis geratenen, demokratisch organisierten Welt. Loznitsa, ein unermüdlicher Arbeiter in den Archiven und an den historischen Stätten, ist ein Virtuose der Aktualisierung. Gleich ob er das Archivarische brandaktualisiert oder dem Brandaktuellen den archivarischen Kontext zeigt – wir spüren, dass uns das was angeht. Jene Geste, die den Konnex herstellt zwischen dem Privaten und dem Politischen. Ein filmisches Haiku, das auch ein Trailer sein könnte.

Viennale-Trailer 2022: THE LIONESS - NINA MENKES

USA/Österreich 2022, 2 Minuten

Eine junge Dame blickt an uns und dem Auge der Kamera vorbei. Span- nung türmt sich auf. Eine Truppe von Tänzer:innen im Paillettenkostüm kurz vor dem großen Auftritt, geschäftig. (Heilige) Kühe und wilde Affen streunend in einer in die Felsen hineingehauenen, ungeheuren Tempelanlage, die Bilder von majestätischer Ruhe durchströmt. Zwei Löwinnen hinter Gittern, ein kurzer Gedanke an Rainer Maria Rilkes Gedicht „Der Panther“. Eine Zirkusartistin mit vier Hula-Hoop-Reifen gleichzeitig in glitzerndem Gewand. Auf der Tonspur ruft die Welt uns zu, dass es in ihr unglaublich viel zu entdecken gibt. Jetzt! Hellwache sinnliche Eindrücke, ein ums andere Mal wie ein Augenaufschlag, sind doch die schönsten Erfahrungen, die das Kino zu bieten hat.

VIENNALE-TRAILER 2022: VIENNA WALTZ - ALBERT SERRA

Spanien/Österreich, 2 Minuten

Ein schwer schnaufender Kampfstier, ein Potenzkonzentrat, bewegt sich wie in einer Arena, irritiert und angriffsbereit zugleich; doch scheint er die Aufmerksamkeit eher in einem schemenhaft bleibenden Wald mal hierhin mal dorthin zu wenden. Und statt des gegnerischen Toreros erwächst ihm ein Artgenosse, man könnt’ auch sagen, er überlagert sich mit sich selbst, gleichermaßen irritiert. Die Worte „Sex“, „Death“, „Blood“, „Bye“ schälen sich nacheinander aus dem schwarz-grünen Schimmer. Die eine Potenz wendet sich ab, die andere tändelt unschlüssig vor der Gefahr. Das Kino ist ein Raum der Möglichkeiten, oft verführt es uns mit seiner Schönheit. Es handelt aber vom Grundsätzlichen – und von der Folge der Entscheidung.

V'22 Sujets

© VIENNALE | Rainer Dempf
© VIENNALE | Rainer Dempf
© VIENNALE | Rainer Dempf

Auf dem Plakat der diesjährigen Viennale sehen wir eine stattliche, brüllende Raubkatze. Diverse künstlerische Techniken sind hier kombiniert: Der Pinselstrich betont die kurvige Form und suggeriert Wendigkeit und Kraft, haucht ihr also gleichsam Leben ein, während der Druck die lebendige, schillernde Farbe unterstreicht und auf die Bildsymbolik orientalischer Kunst verweist. Es handelt sich um eine Darstellung aus dem frühen 19. Jahrhundert, die durch Kulturen und Traditionen gereist ist und noch heute äußerst geheimnisvoll wirkt. Ursprünglich stammt sie vom größten Meister der Ukiyo-e-Kunst, Katsushika Hokusai, der durch die Kombination von Holzschnitt und Malerei historische und mythische Sujets in die Moderne transportierte und auch die europäische Malerei des 19. Jahrhunderts beeinflusste, von Henri de Toulouse-Lautrec über Pierre Bonnard bis hin zu Paul Gauguin.

Hokusai hat eine dynamische Figur voller Temperament geschaffen, die an die Bewegtheit erinnert, die auch in seiner meisterhaften Darstellung „Die große Welle vor Kanagawa“ aus seiner berühmten Bildserie „36 Ansichten des Berges Fuji“ zum Ausdruck kommt. Ein brüllender Löwe, der aus seiner Trägheit erwacht und ein Festival einläutet, an dem alle voller Leidenschaft mitwirken: die Viennale, jene Jahreszeit des Kinos und seiner die Seele belebenden Aktivität.

Wie der Shishi (d.i. Wächterlöwe), der vor Unglück schützen soll, ist diese Raubkatze der perfekte Talisman für ein Festival der Inspiration und der Begegnung; er repräsentiert nicht nur die Beherztheit des in den Kinosälen präsentierten Filmschaffens, sondern auch den tiefgreifenden, kulturellen und gesellschaftlichen Brückenbau, den es anstrebt, und für den eine mittlerweile 60-jährige Festivalgeschichte steht.

Auch heute, im Jahr 2022, behauptet die Viennale ihren Platz in einem schwierigen Umfeld und in einer schweren Zeit für die menschliche Zivilisation, und will verlässlicher Ort für Austausch und Verständigung sein.

V'22 Filmpreise

WIENER FILMPREIS

Der Wiener Filmpreis, eine von der Stadt Wien gestiftete und im Rahmen der Viennale vergebene Auszeichnung, gilt einem aktuellen österreichischen Langfilm, der im vergangenen Jahr zur Aufführung gelangte. Die Dotierung dieses Preises besteht aus einem Geldbetrag, der von Seiten der Kulturabteilung der Stadt zur Verfügung gestellt wird, sowie aus monetären Zuwendungen von ARRI Rental und Hotel The Harmonie Vienna. Weiters bereichert THE GRAND POST den Wiener Filmpreis mit großzügigen Sachwerten. Beim Wiener Filmpreis werden zwei Preise vergeben: der Preis für den besten österreichischen Film und der Spezialpreis der Jury. Jede der beiden Auszeichnungen ist mit Geldspenden und Sachwerten dotiert.

Jury: Gerald Bast (Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien), Ingrid Brodnig (Autorin und Journalistin) und Edita Malovčić (Schauspielerin und Sängerin).

Bester österreichischer Film:
SONNE, Kurdwin Ayub, Österreich 2022

Jurybegründung: Sonne ist ein Film, der vermeintlich leise daherkommt, aber dann ein lautes Echo hinterlässt. Die Geschichte von drei jungen Frauen, die über Social Media ein bisschen Berühmtheit erlangen, zeigt, wie divers unsere Gesellschaft ist – Regisseurin Kurdwin Ayub gelingt es dabei gekonnt, mit dem einen oder anderen Klischee zu brechen. Mit simplen, aber wohlüberlegten Mitteln wird viel Geschichte erzählt, innerfamiliäre aber auch gesellschaftliche Strukturen und Konflikte behandelt. Dabei ist die schauspielerische Leistung der Protagonist*innen bemerkenswert. So entsteht ein sehenswerter, unterhaltsamer, aber eben auch vielschichtiger und gesellschaftspolitisch relevanter Film, dem man nicht anmerken würde, dass es sich genau genommen um ein Erstlingswerk handelt.

Spezialpreis der Jury:
RUBIKON, Leni Lauritsch, Österreich 2022

Österreichischer Film darf sich auch etwas trauen. Regisseurin Leni Lauritsch traut sich, groß zu denken. In Ihrem Film RUBIKON wendet sie sich dem Ende der Welt zu – und führt uns in einer technisch höchst professionell umgesetzten Erzählung ins Weltall. Bemerkenswert ist, wie viele erzählerische Ebenen und philosophische Fragestellungen in diesem Film miteinander verwoben werden. Damit ist ihr ein Beitrag gelungen, der aktuelle Themen unserer Zeit aufgreift und das Genre der Science Fiction nutzt, um ethische Grundsatzfragen zu verhandeln.

VIENNALE-PREIS DER STANDARD LESER:INNEN-JURY

Der Preis der Standard-Leser:innen-Jury geht an einen Film, der noch keinen Verleih in Österreich hat und dem ein Kinostart in Österreich besonders empfohlen wird. Findet der Film einen Verleih, ist der Kinostart mit kostenlosem Anzeigenraum in der Tageszeitung „Der Standard“ verbunden.

Jury: Patrick Cassidy, Florian Schwarz, Daniela Univazo

Der VIENNALE-PREIS DER STANDARD LESER:INNEN-JURY geht an:

PAMFIRDmytro Sukholytkyy-Sobchuk, Ukraine/ Frankreich/ Polen/ Chile/ Luxemburg/ Deutschland 2022

Image of movie Pamfir

Jurybegründung: Wie ein Paukenschlag fuhr uns dieser Film in die Knochen, und wir verließen die Vorführung ganz benommen und voller Aufregung über das, was wir gerade gesehen hatten. Wir waren berührt von der Wärme der Figuren, die versuchen, in einer korrupten Gesellschaft zu überleben, die sie im Dienste der Mächtigen an die Kette legen will. Die Hoffnung, die PAMFIR durch seine eindrucksvollen Bilder vermittelt, wird uns noch lange in Erinnerung bleiben. Dieser Film ist nicht nur ein Zeugnis für das Talent des Erstlingsregisseurs und des Hauptdarstellers, sondern auch eine Zeitkapsel für ein Land und eine Gemeinschaft, die sich in einem massiven Umbruch befinden. Es ist uns eine absolute Freude und Ehre, den Preis der STANDARD-Leser:innen-Jury an PAMFIR zu verleihen.

FIPRESCI PREIS (PREIS DER INTERNATIONALEN FILMKRITIK)

Zur Auswahl steht eine Reihe von Erst- und Zweitfilmen von Regisseur:innen.

Jury: Susanne Gottlieb, Johannes Hagman, Kira Taszman

FIPRESCI, der Internationale Verband der Filmkritiker: innen, wurde 1930 gegründet. Der Verband hat sich der Pflege journalistischer Ethik verschrieben und vertritt die professionellen Interessen seiner Mitglieder. Die Mitglieder der FIPRESCI kommen aus aller Welt und finden sich in kleinen Jurys auf zahlreichen Filmfestivals ein, um den Preis des Internationalen Filmkritikerverbandes zu vergeben. Meist wählen sie dabei – wie bei der Viennale – aus einer Reihe von Erstlingswerken junger Filmemacher:innen.

UNRUEH © Viennale

Der FIPRESCI-Preis geht an:
Cyril SchäublinUNRUEH, Schweiz 2022

Jurybegründung: Zeit ist essenziell für die Figuren in dieser facettenreichen Geschichte, aber sie vergeht unterschiedlich schnell und hängt von den Interessen der verschiedenen Fraktionen ab. Die Zeit der Unruhe, des gesellschaftlichen Umbruchs, spiegelt sich in dem geschickt gewählten Titel wider, der in sich ein Widerspruch ist. Er suggeriert zwar die Unruhe in der Gesellschaft, aber erzählt dies auf sehr unaufgeregte Weise und verzichtet auf offensichtliche Konflikte. Für die Schilderung einer originellen internationalen Atmosphäre an einem kleinen Ort, für die Hinterfragung unseres Geschichtsverständnisses und dafür, dass er die Uhrmacherei durch ein Prisma der Historie sieht, geht der FIPRESCI-Preis an UNRUEH.

ERSTE BANK MehrWERT-FILMPREIS

Zum 12. Mal wird heuer der von der Erste Bank initiierte und gestiftete 
MehrWERT-Filmpreis in Zusammenarbeit mit der Viennale, dem Deutschen Haus at NYU und dem Anthology Film Archives vergeben. Der Erste Bank MehrWERT-Filmpreis wird unter den österreichischen Filmproduktionen, die im Programm der Viennale laufen, über eine unabhängige Jury vergeben. 

Jury: Silvia Bohrn, Kulturmanagerin; Boris Manner, Philosoph, Kurator; Jed Rapfogel, Filmprogrammer Anthology Film Archives

Jurybegründung
Die Jury des Erste Bank MehrWERT-Filmpreises hat beschlossen, den Preis zwei Kurzfilmen zu widmen, die zwei der wichtigsten und grundlegendsten Bereiche menschlicher Erfahrung zum Thema haben: Sex und Tod.
Jan Soldat für BILND DATE

Image of movie Singing In Oblivion

Der Erste Bank MehrWERT-Filmpreis geht an Eve Heller für SINGING IN OBLIVION
Eve Hellers Kurzfilm SINGING IN OBLIVION verwendet eine Vielzahl von Techniken - Beobachtungsfotografie, gefundene Bilder, Fotogramme und ein reichhaltiges Sounddesign, um eine Meditation über Tod, Erinnerung und Vergänglichkeit zu beschwören. Im Mittelpunkt steht der Jüdische Friedhof in Wien Währing, der von den Nazis teilweise zerstört wurde und heute dem Verfall preisgegeben ist. Heller kombiniert ihre eigenen geisterhaften Aufnahmen des Friedhofs mit Fotogrammen von organischen Materialien und fragmentarischen Bildern, die sie von Glasnegativen gedruckt hat, die sie auf einem Flohmarkt entdeckt hat. Der Film selbst wird zu einer Art Fotogramm: ein physisches Objekt, auf dem das entschwundene Leben seinen Abdruck hinterlassen hat und das so gleichermaßen von Präsenz und Abwesenheit spricht.

Image of movie Blind Date

Der Erste Bank MehrWERT-Filmpreis geht an Jan Soldat für BILND DATE
Obwohl Jan Soldats BLIND DATE in fast jeder Hinsicht ein völlig anderer Film ist als Eve Hellers SINGING IN OBLIVION, geht es auch hier um die Beziehung zwischen den immateriellen Aspekten menschlicher Erfahrung und ihren physischen Manifestationen, in diesem Fall um das Begehren und den Körper. In Zusammenarbeit mit seinen Protagonisten entmystifiziert Jan Soldat den sexuellen Akt und lenkt die Aufmerksamkeit auf das, was die meisten anderen Filme zu diesem Thema ausblenden: die zutiefst menschliche Mischung aus Unbeholfenheit, Verletzlichkeit, sozialem Protokoll und zögerlicher Annäherung, die den Geschlechtsverkehr umrahmt. BLIND DATE ist Teil einer Reihe, in der Jan Soldat ein kaleidoskopisches Porträt erotischer Praktiken präsentiert. Radikal ist BLIND DATE nicht wegen seiner freimütigen Darstellung von Sex, sondern wegen seiner unbefangenen, unsentimentalen, aber einfühlsamen Neugier auf die Erfahrung zweier Individuen, die sich zur Befriedigung ihrer körperlichen Begierden zusammenfinden.

V'22 Events

Auch in diesem Jahr gab es wieder einen Viennale Treffpunkt für Diskussionen und Gespräche mit Filmgästen oder einfach nur zum gemütlichen Plaudern, gelegen zwischen Gartenbaukino und Urania. In der Nacht wurde das Untergeschoß zur Partyzone mit DJs und Live Acts.

 Regisseurin Joanna Hogg begeisterte mit Einblicken in ihre Arbeitsweise im Rahmen eines mit dem Drehbuchforum gestalteten Diskussionsabends, ebenso wie der französische Regisseur Alain Guiraudie, der vor dem interessierten Publikum über das Filmemachen und das Schreiben sprach. Ein weiterer Höhepunkt: Lav Diaz gestaltete eine Masterclass für den Regieverband Österreich. Jedes Jahr etwas neu und etwas anders ist die „Matrix“, die sich aus dem gesamten jährlichen Programm und dem Zusammenspiel der ausgewählten Filme, dem assoziativen Dialog dieser Filme untereinander ergibt. Ein Netz von Themen und Gedanken, die sich reziprok mit einem gesellschaftlichen Diskurs erschließen.

Panel
Eric Baudelaire im Viennale Club

Diese Gedanken aufzugreifen und dieses Netz für das Publikum sichtbar zu machen und zur Beteiligung einzuladen, hat die Viennale auch dieses Jahr versucht. Bei einem Panel zum Thema „Männlichkeit“ versuchten Regisseurin Ruth Beckermann, Regisseur Albert Serra und Moderatorin Andrea Braidt den veränderten und verändernden Implikationen im filmischen Kontext nachzugehen. In einer anderen, ebenfalls begeistert aufgenommenen Diskussionsrunde zum Thema „Narrative und Manipulation“ besprachen die Regisseure Radu Jude, Roee Rosen und Eric Baudelaire gemeinsam mit Lisa Nesselson und dem Publikum Fallstricke und ethische Fragestellungen.