Early Austrians

PROGRAMM 2: IKONOGRAFIE DES ALLTAGS

AUT
54 min
V'09

Das frühe nicht-fiktionale Kino interessierte sich unter anderem stark für Alltagsthemen. Es präsentierte seinem Publikum zum Teil bekannte Szenen, aber auch unbekannte Bilder aus der Arbeitswelt. Doch wie dokumentarisch sind die Bilder? An den Szenen in Gänsehäufel und Typen und Szenen aus dem Wiener Volksleben fällt auf, wie sich die Menschen zur Kamera hin orientieren, dabei immer auf Wirkung bedacht. Der «Medienprofi» Erzherzog Karl Franz Joseph hingegen beachtet die Kamera kaum, auch wenn sie ihn aus der Nähe aufnimmt. Die «Normalbevölkerung» wird in ihrem Verhalten durch die Präsenz der Kamera stark beeinflusst, wenn nicht gar der Kameramann die Menschen zu bestimmtem Handeln auffordert, die er für besonders filmgerecht hält. Der Gestus solcher Filme ist das Zeigen, nicht das Erklären oder Erzählen. Jede Einstellung könnte für sich stehen. Das ändert sich mit Beginn des Ersten Weltkriegs: Nicht-fiktionale Filme werden als Propagandamittel funktionalisiert. Die Kamera wird zum «unbeobachteten Beobachter», der scheinbar alltägliche Verrichtungen in einen argumentativen Zusammenhang stellt: Kriegsanleihe soll gezeichnet werden, Altmetall wird gesammelt, aber auch die Kriegsinvaliden defilieren an der Kamera vorbei – die allgemeine Solidarität ist ihnen sicher. Aber auch industrielle Arbeit ist Gegenstand der Filmpropaganda: Die Herstellung von Uniformjacken ist gleichzeitig Werbung für eine kommerzielle Firma, Beleg für eine trotz Kriegszeiten effizient arbeitende Produktion und liefert zugleich interessante Bilder aus einer vielen Zuschauern unbekannten mechanisierten Arbeitswelt. Herausgehoben wird die Person des Kaisers, besonders interessant, wenn die Monarchenverehrung sich gut mit der Eigenwerbung eines Kinos verbinden lässt. So wird die Kundgebung für Kaiser Franz Joseph vor dem Brigittenauer-Kino im letzten Friedenssommer zu einer Eigenstilisierung des Kinos als zugleich unterhaltendes und staatstragendes Medium. (Uli Jung) Musik: Peter Szely (Elektronik, Klangarchitektur)

Gänsehäufel (ca. 1911, schwarzweiß); Typen und Szenen aus dem Wiener Volksleben (1911, schwarzweiß und viragiert, dt. Zwischentitel); Eröffnung der Kärnter Landes-Handwerkerausstellung im Jahre 1911 unter dem Ehrenprotektorat von Erzherzog Karl Franz Josef (1911, schwarzweiß, dt. Zwischentitel); Kaiserhuldigung im Wiener K.K. Prater (ca. 1912, schwarzweiß); [Kundgebung für Kaiser Franz Josef vor dem Brigittenauer-Kino] (ca. 1914, schwarzweiß); [Kriegsbegeisterung in Wien] (ca. 1914, schwarzweiß und viragiert); Der Werdegang einer Soldatenmontur (Wilhelm Beck & Söhne II) (1916, schwarzweiß, dt. Zwischentitel); [Werbefilm für die 7. Österreichische Kriegsanleihe] (1917, viragiert, dt. Zwischentitel); [Kriegsmetallsammlung] (1908/10, schwarzweiß, dt. Zwischentitel); [Defilé von österreichischen Kriegsinvaliden] (ca. 1918, viragiert)

Credits
35 mm
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