DOGFAR NAI MAE MARN

Während interaktives Erzählen eine Internet-Hauptbeschäftigung von Literaturfreaks und angehenden Autoren gleichermaßen ist, ist es Zeit, sich daran zu erinnern, daß diese Form der Erzählung so alt ist wie die Menschheit selbst. Geschichten wurden von Erzähler zu Erzähler  weitergegeben und von jedem von ihnen ausgeschmückt, genauso wie wir in unserem alltäglichen Tratsch dazu neigen, Gerüchte auszudehnen und zu übertreiben.
Die Idee hinter dem Film ist von einer solchen Zen-artigen Einfachheit, dass man sich fragen muss, warum noch niemand vorher daran gedacht hat. Regisseur Apichatpong Weerasethakul reist mit seiner Crew durch Thailand und wählt unterwegs Leute aus, die Beiträge zu einer episodischen Geschichte liefern sollen. So wie bei der Internet-Fiktion können sie beliebig weitererzählen; sie müssen nur dort anfangen, wo der letzte Erzähler aufgehört hat.
Die Kettenerzählung beginnt mit einer simplen Geschichte über einen behinderten Jungen, der in einem Garten Unterricht von einem Lehrer erhält. Sie wird aber immer komplexer, je mehr Leute daran weitererzählen. Die narrativen Probleme, mit denen sich jeder Erzähler konfrontiert sieht, werden zum Teil auf bizarre Weise gelöst, wie in der Geschichte von dem Jungen, der von einem fliegenden Ball geboren wird. Die Geschichten sagen ebenso viel über den Erzähler aus wie über die erfundenen Figuren. Der Film gelangt schließlich zu einer an Borges gemahnende  Schlussfolgerung, nämlich dass das Innenleben der Erzähler bisweilen viel seltsamer ist als jegliche Fiktion es ausdrücken könnte. Betrachtet man den Mangel an Kreativität, der im amerikanischen Kino derzeit herrscht, wünscht man sich, Hollywood möge einige dieser «Erzähler» als
Geschichtenentwickler engagieren. (Terry E. Lawrence)