NANNAN NÜNÜ

Xiao Bö, ein zurückhaltender junger Mann, der nach Peking kommt, um Arbeit zu suchen, landet zufällig in einer Boutique. Die Besitzerin, Qing Jie, stellt ihn sofort an und gibt ihm ein Zimmer. Sie schließt ihn schnell ins Herz und stellt ihn kurz darauf ihrer Freundin A Meng vor, in der Hoffnung, daß die beiden ein Paar bilden könnten. Doch die zwei kommen nicht gut miteinander aus. Könnte es ein, daß Xiao Bö nicht auf Frauen steht? Neugierig geworden, versucht Qing Jies Mann, sich an den jungen Mann heranzumachen. Xiao Bö sucht bei seinem homosexuellen Freund Chong Chong Unterschlupf, der die Zeit damit verbringt, die Sprayereien und Sprüche, mit denen die öffentlichen Toiletten vollgekritzelt sind, abzuschreiben, die er in einer Zeitschrift veröffentlicht. Xiao Bö und Qing Jie sind von nun an getrennt. Ein neues Leben beginnt, neue Gefühlsbindungen entstehen. Es spielen fast ausschließlich Laien; die meisten sind Homosexuelle, die ihre eigene Rolle spielen. Liu Bingjian vermeidet jegliche Psychologie und Rhetorik und baut geduldig, in kleinen Schritten, seine Figuren auf, die offen für die Überraschungen des Lebens sind. Daraus ergibt sich ein tabuloses und untergründig subversives Bild der zeitgenössischen chinesischen Gesellschaft, in der die frei gelebte (und dargestellte) Sexualität beinahe Symbolcharakter gewinnt. Nannan nünü ist der erste Film aus der Volksrepublik, der aus der radikalen Homosexuellenbewegung hervorgegangen ist. Liu Bingjian bemüht sich sehr um eine dokumentarische Darstellung. Er wird zum aufmerksamen Chronisten des modernen, hektischen, urbanen China. Doch die Inszenierung setzt ihren eigenen Rhythmus durch: Angesichts der gesellschaftlichen und persönlichen Veränderungen entscheidet sich Liu Bingjian für Nüchternheit und Distanz. (Frederic Mermoud)