DOGVILLE

Dogville, den titelgebenden Spielort amerikanischer Kleinstadt-Bigotterie seines neuen Films, hat von Trier als Brecht-Bühne der puristischsten Art eingerichtet. Ein Kreidegrundriss auf schwarzer Fläche soll genügen, hier und da ein spärliches Requisit. Ein Hund, der sich als der menschlichste aller Bewohner erweisen wird, bellt zwar, besteht ansonsten aber nur aus grober Umrisszeichnung. Die vom Regisseur selbst geführte Steadycam bannt das illustre Ensemble auf spartanisches Videomaterial, allerdings in Breitwand: Ben Gazzara, Harriet Andersson, Stellan Skarsgård, der treue Udo Kier und vor allem Nicole Kidman, die sich als flüchtige Tochter eines Gangsterchefs in die Obhut des frommen Dogville begibt, wo man sich ihr Asyl zusehends teurer bezahlen lässt. Am Ende hält man sich Kidman als jedermanns Sklavin an der Kette. In seiner 170-minütigen Farce attackiert von Trier die kalvinistische Moral des weißen protestantischen Mittelstands-Amerika als Freibrief zur Ausbeutung, auslegbar in globalste Dimensionen. Wer das trockene Konzept auf dem Papier kannte, das schließlich durch den Auftritt des Gangsterbosses als Modell eines rächenden Gottes im Kontrast zum durch die Kidman-Figur repräsentierten Vergebungsmodell pointiert wird, staunt nicht schlecht über die leichte Hand der Inszenierung. Zugleich bestimmt ein durchgehaltener Ton ironischer Distanz jede Geste. (Daniel Kothenschulte) Das Wunder von Dogville besteht darin, dass der Regisseur die bekannte Passionsgeschichte verfremdet, indem er ihr zahlreiche neue Ebenen einzieht, selbstreflexive, komische, entschieden antisentimentale. Als würde von Trier in den Kulissen seiner Theaterstadt sein bisheriges uvre neu erfinden, erzählt er weniger von Moral und Leiden als davon, wie heikel und überheblich es ist, wenn er von Moral und Leiden erzählt. (Cristina Nord)