V'21 Festivalinfo

Mit der Galavorführung des Films VERDENS VERSTE MENNEKE (THE WORST PERSON IN THE WORLD) von Joachim Trier ging die 59. Ausgabe der Viennale am am Sonntag, den 31. Oktober 2021 zu Ende.

Das Festival konnte in dieser herausfordernden Zeit mit einer Besucher*innenzahl von 58.200 und einer Auslastung von 74% einen sehr schönen Erfolg verbuchen. Die letzten elf Kinotage haben bewiesen, dass die Freude und das Interesse des Wiener Publikums daran, ein vielfältiges Filmprogramm gemeinsam im Kino zu sehen, größer war als die Scheu vor voll besetzten Sälen.

Diese Ausgabe 2021 hat die Erwartungen übertroffen“, freut sich Viennale Direktorin Eva Sangiorgi. „Mit dem diesjährigen Programm war ich sehr zufrieden, und ich war durchaus stolz darauf. Daher war es umso schöner zu erleben, dass das Publikum große Begeisterung dafür aufbrachte und sich dies auch in den Besucher*innenzahlen niederschlug.“

Eröffnung Viennale 21 | © Viennale/Roland Ferrigato

Schauspielerin Anamaria Vartolomei, Regisseurin Audrey Diwan (L' EVÉNEMENT) und Festival Direktorin Eva Sangiorgi 

Die Viennale 2021 hatte jede Menge Highlights zu bieten. Darunter war natürlich die Eröffnungsgala im frisch renovierten Gartenbaukino in Anwesenheit der Regisseurin des Eröffnungsfilms L’EVÉNEMENT, Audrey Diwan, und der Hauptdarstellerin Anamaria Vartolomei. Einer schönen Idee des Vorjahres folgend wurde der Film am Eröffnungsabend in allen fünf Viennale Kinos gezeigt.

Terence DAVIS
Terence Davies

Dem ebenfalls bei der Eröffnung bereits anwesenden britischen Ausnahme-Regisseur Terence Davies wurde eine Monografie gewidmet, die vom Viennale-Publikum extrem gut angenommen wurde. Davies begeisterte nicht nur mit seinen Filmen, sondern auch mit seiner freundlichen Präsenz, den interessanten und humorvollen Q&A’s nach den Vorführungen und dem spannenden und ausführlichen Werkstättengespräch über das Drehbuch-Schreiben nach einer Vorstellung in der Urania. Dass Terence Davies plant, seinen nächsten Film in Österreich zu drehen, freute alle Beteiligten zusätzlich.

Viennale / Alexi Pelekanos
GROSSE FREIHEIT im Gartenbaukino

Auch bei dieser Festivalausgabe kam der österreichische Film nicht zu kurz. Für besonderes Aufsehen sorgte die Premiere von Sebastian Meises international mehrfach ausgezeichneter Arbeit GROSSE FREIHEIT, die im Rahmen der Viennale zwei weitere Preise einheimsen konnte.

Die Viennale selbst freute sich nicht nur über begeisterte Reaktionen in in- und ausländischen Medien, sondern erweiterte in diesem Jahr auch ihre eigene Präsenz auf Social Media sowie mit spannenden Video- und Podcasts massiv.

Die Retrospektive „Film as a Subversive Art – A Tribute to Amos Vogel“ in Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum feierte Vogels 100. Geburtstag und lud sechs Kurator*innen aus aller Welt ein, Programme zu erstellen, die sich im Sinne Vogels der Frage stellen, was „Film“, „subversiv“ und „Kunst“ heute heißen kann.

 

V'21 Trailer

BUT WHY? von Terence Davies

Der Trailer der 59. Ausgabe der Viennale stammt vom britischen Filmemacher Terence Davies, dem heuer auch eine Monografie gewidmet ist.
BUT WHY? ist ein Film, der in wenig mehr als einer Minute seine von profunder Menschlichkeit geprägte Poetik verdichtet, und dem es gelingt, die Betrachter*innen aufgehen zu lassen in einer Atmosphäre aus Licht und (Davies eigenen) Worten. Eine Elegie auf die Zeit und auf das Leben.

V'21 Sujets

V'21 Plakat © Viennale

Auf dem Festivalplakat sehen wir eine natürliche Landschaft; es ist ein faszinierendes und suggestives Bild, das uns in dieser Zeit, die unsere Gewohnheiten durcheinandergebracht hat und das, was wir sicher glaubten, die Wieder-Öffnung unserer geografischen wie geistigen Grenzen herbeisehnen lässt. Zugrunde liegt ihm eine Illustration vom Ende des 19. Jahrhunderts, die didaktischen Zwecken diente und die Welt beschreiben und bekannt machen sollte - deren Darstellung daher auf Beobachtung wie Einbildungskraft gleichermaßen basiert. Die Landkarte ist nicht die Landschaft - um das Offensichtliche festzustellen -, aber gerade deswegen ist sie ein Instrument der Erweiterung: sie ist zugleich Wiedergabe und Projektion. Darin liegt ihre Verwandschaft mit dem kinematografischen Dispositiv, das unsere Epoche vermittels der Subjektivität seiner Autor*innen interpretiert und diese Interpretationen wiederum vervielfacht in der Empfindungsfähigkeit und der Erfahrung der Zuschauer*innen.
Mehr zu unserem Sujet finden Sie in unserem Blog

V'21 Retroplakat

Die Retrospektive stellt sich vor mit einem Still aus LABORAT von Guillaume Cailleau aus dem Jahr 2014; es ist dies ein etwa zwanzigminütiger Film in einem der vielfältigen Programme, die in diesem Jahr die Retro konstituieren. Und die zusammengestellt worden sind von Programmmacher*innen, deren kuratorische Praxis sich durch die Förderung eines kritischen, die Gegebenheiten hinterfragenden Kinos auszeichnet. Die Angebote, die von diesen Delegierten - die wiederum wegen ihrer Erfahrung und Sensibilität ausgewählt worden sind - gemacht werden, unterstreichen die Herausforderung, die für den ganzen Zyklus der Auslöser war: Dass nämlich die subversive Kraft des Kinos immer noch die Macht hat, unsere Sicht auf die Dinge zu beeinflussen, die Dinge zu problematisieren und schließlich sogar zu verändern.

Das Bild verleiht dem Blick des Kinos, dem Blick im Kino und seinen unendlichen Möglichkeiten Nachdruck: Es ist ein Blick, der über die menschliche Dimension hinausgeht. Das ist eines der Themen dieser Reise, die von Amos Vogel inspiriert ist. Dessen Erbe lebt weiter in allen Winkeln und Filmkulturen der Erde, und es ist versammelt in den unterschiedlichen Strängen, die diese Retrospektive verfolgt und verknüpft. Wir wollten eine vielstimmige und gemeinschaftliche Retrospektive, um allein schon mit ihrer Form zu unterstreichen, welche anderen Wege in Richtung Veränderung und Subversion heute möglich sind.

V'21 Gäste

Robert Newald

Ein Hauch von Hollywood streifte Wien und die Viennale mit der Anwesenheit von Schauspieler Matt Dillon, der gemeinsam mit der Künstlerin Shirin Neshat ihren neuen Film LAND OF DREAMS im Gartenbaukino präsentierte und natürlich für besonders großes Medieninteresse sorgte.

Darüber hinaus konnte die Viennale in diesem Jahr außergewöhnlich viele großartige Gäste begrüßen, die ihre Filme vorstellten – gleich viele wie z.B. 2019, als das Festival drei Tage länger dauerte –, darunter Mia Hansen-LøveAndrea ArnoldMathieu AmalricSean Baker, Bruno DumontNadav LapidMaria Speth und Abel Ferrara. Bei 140 von 250 Vorführungen im Rahmen der Viennale beantworteten unsere Filmgäste die Fragen der Moderator*innen und des Publikums.

V'21 Filmpreise

WIENER FILMPREIS

Jury: Choreografin und Tänzerin Christine Gaigg, Schauspielerin Aenne Schwarz und Filmemacher Sebastian Brameshuber.

Der Wiener Filmpreis, eine von der Stadt Wien gestiftete und im Rahmen der Viennale vergebene Auszeichnung, gilt einem aktuellen österreichischen Langfilm, der im vergangenen Kinojahr zur Aufführung gelangte bzw. bei der Viennale gezeigt wurde. Die Dotierung dieses Preises besteht aus einem Geldbetrag, der von Seiten der Kulturabteilung der Stadt zur Verfügung gestellt wird, einer monetären Unterstützung vom Hotel The Harmonie Vienna, sowie großzügigen Sachwerten, gestiftet von den Sponsoren BLAUTÖNE und viennaFX. Beim Wiener Filmpreis werden zwei Preise vergeben: der Preis für den besten österreichischen Film und der Spezialpreis der Jury.

Bester österreichischer Film:

GROSSE FREIHEIT, Sebastian Meise, Österreich/Deutschland 2021

GROßE FREIHEIT | Sebastian Meise, Österreich/Deutschland 2020/21 | © Viennale

Jurybegründung: Dieser bildgewaltige Film stellt die ganz großen Fragen: die nach der Freiheit und die nach der Liebe. Er scheut sich nicht vor dem großen Pathos und ist zugleich meisterlich zart im Detail. Er zeichnet Kontinuitäten und Bruchlinien sozialer Ausgrenzung und gesellschaftlicher Normierung nach, ohne sich jedoch ausschließlich in den Dienst eines politischen Anliegens zu stellen. Man meint, die Räume riechen zu können, wenn die Luft eng wird. Mit großer Fürsorge und Genauigkeit blicken wir in das Innerste der fantastisch gespielten und inszenierten Figuren, folgen ihnen in jeden Abgrund, sind aber nie verleitet, ihnen zu nahe zu treten oder uns überlegen zu fühlen – und werden sie gerade deshalb nicht mehr los.

Spezialpreis der Jury:

BEATRIX, Milena Czernovsky, Lilith Kraxner, Österreich 2021

Image of movie Beatrix

Jurybegründung: Diesem Film wohnt die geheimnisvolle und ursprüngliche Kraft des Kinos inne, er ist ein Wurf aus Nonchalance und radikaler Reduktion. Wir sehen Leerstellen des Alltags, instagramatische Situationen, aber so, wie die Darstellerin sich diesen Handlungen hingibt, nämlich selbstvergessen und ungeniert, würden diese Momente für Instagram gar nicht taugen. Stattdessen entstehen kinematografische Sinnlichkeit und Intimität. Die banalen Aktivitäten weisen über sich hinaus: Putzen offenbart die ihm innewohnende Ekel-Satisfaktion, Prokrastinieren und soziales Schmollen entwickeln Charme. Ökonomisch erzählt, genau kadriert – so entsteht ästhetische Widerständigkeit.

VIENNALE-PREIS DER STANDARD LESER*INNEN-JURY

Jury: Jeremy Braunsberg, Robert Frenay, Marija Milosavljevic

Der Preis der Standard-Leser*innen-Jury geht an einen Film, der noch keinen Verleih in Österreich hat und dem ein Kinostart in Österreich besonders empfohlen wird. Findet der Film einen Verleih, ist der Kinostart mit kostenlosem Anzeigenraum in der Tageszeitung „Der Standard“ verbunden.

Der VIENNALE-PREIS DER STANDARD LESER*INNEN-JURY ging an:

KELTI, Milica Tomović, Serbien 2021

KELTI | Milica Tomovic, Serbien 2021 |© Viennale

Jurybegründung: Das Geburtstagsfest eines achtjährigen Mädchens wird zu einer Bühne, auf der sich mehrere, einander überschneidende Dramen abspielen. In einer Ecke kritisieren die Kinder gegenseitig ihre Ninja-Turtles-Kostüme, in einer anderen geben sich die Erwachsenen betrunkenen Diskussionen und amourösen Abenteuern hin. Im Laufe einer einzigen Nacht ergründet dieses ambitionierte Altmaneske Ensemblestück Fragen der Identität, Intimität, Sexualität und Politik. Die Atmosphäre im Belgrad des Jahres 1993 mag düster erscheinen, doch die Regisseurin lässt den ganzen Film über Momente der Freude, Heiterkeit und Zärtlichkeit durchscheinen. Die Darbietungen wirken lebendig und improvisiert, so als würden wir auf eine Gruppe von Freunden stoßen, die sich inmitten von Gesprächen und Auseinandersetzungen befinden, die bereits vor unserem Eintreffen begonnen haben und danach weitergehen werden. Die Filmemacherin führt uns mit einem aufrichtigen und seriösen Blick durch die Welt der Kinder und stellt ihre Konflikte und Dilemmas mit ebenso viel Ernsthaftigkeit und Spannung dar wie jene der Erwachsenen. Die Menschlichkeit des Films, das Eingehen auf die Schwächen der Figuren und das Feingefühl für ihre Sehnsüchte haben uns berührt. Wir waren beeindruckt vom souveränen Umgang der Regisseurin mit dem Raum, ihrem klaren Fokus und ihrer Fähigkeit, eine große Anzahl von Charakteren so darzustellen, dass sie uns sofort vertraut erscheinen. Die Jury freut sich, diesen Preis an Milica Tomović für ihr unglaubliches Spielfilmdebüt KELTI zu vergeben.

FIPRESCI PREIS (PREIS DER INTERNATIONALEN FILMKRITIK)

Jury: Michael Phillips (USA), Veronika Zakonjsek (Slowenien), Marietta Steinhart (Österreich)

Zur Auswahl steht eine Reihe von Erst- und Zweitfilmen von Regisseur*innen.

Der FIPRESCI-Preis ging an:

RE GRANCHIO, Alessio Rigo de Righi, Matteo Zoppis, Italien/Argentinien/Frankreich 2021

RE GRANCHIO | Alessio Rigo de Righi, Matteo Zoppis, Italien/Argentinien/Frankreich 2021 | © Viennale

Jurybegründung: In ihrem visuell einfallsreichen Wechsel vom Dokumentar- zum Erzählfilm folgen Alessio Rigo de Righi und Matteo Zoppis ihrem verstoßenen Protagonisten von einer Tragödie im italienischen Tuscia des 19. Jahrhunderts bis zur Neuerfindung in der argentinischen Provinz Feuerland. Mit wissendem Blick, rauer Schönheit und authentischer Struktur unterstreichen die beiden Filmemacher die Kraft und Poesie der Folklore.

 

ERSTE BANK MehrWERT-FILMPREIS

Jury: Silvia Bohrn (Kulturmanagerin), Boris Manner (Philosoph, Kurator), Andreas Ungerböck (Herausgeber)

Zum 11. Mal wurde heuer der von der Erste Bank initierte und gestiftete MehrWERT-Filmpreis vergeben. Der Erste Bank MehrWERT-Filmpreis wird unter den österreichischen Filmproduktionen, die von der Viennale kuratiert sind, über eine unabhängige Jury vergeben. Der MehrWERT-Filmpreis ermöglicht einen Aufenthalt in New York City einschließlich einer Werkpräsentation im Anthology Film Archives.

Der Erste Bank MehrWERT-Filmpreis 2021 ging an:

GROSSE FREIHEIT, Sebastian Meise, Österreich/Deutschland 2021

GROßE FREIHEIT | Sebastian Meise, Österreich/Deutschland 2020/21 | © Viennale

Jurybegründung: Es ist ein Film, der furchtlos ist, der politisch ist, ohne auf politische Korrektheit zu schielen, ein Film, der nicht psychologisiert und einen langen, spannenden erzählerischen Bogen hat. Freiheitseinschränkungen mit den einhergehenden Maßnahmen und Vollzug, die gesetzlich legitimiert in der jeweiligen Zeit als normal gelten, bilden den Rahmen für diese groß erzählten Liebesgeschichten. Grandiose Schauspieler, die in einem klaustrophobischen Setting die Grenzen ihrer Kunst ausloten, eine hervorragende Lichtsetzung und Kameraarbeit machen diesen Film zu einem außergewöhnlichen Erlebnis.

VIENNALE BAR

Robert Newald

Maialen Beloki (San Sebastián Film Festival), Giona Nazzaro (Locarno Film Festival), Eva Sangiorgi (Viennale), Carlo Chatrian (Berlinale), Paolo Moretti (Quinzaine des Réalisateurs, Cannes) 

Nach dem vorjährigen kompletten Verzicht auf eine Festivalzentrale wurde heuer wieder dafür gesorgt, dass es einen Treffpunkt für Kinofreund*innen abseits der Kinos gab – wenn auch etwas kleiner dimensioniert: die ideal zwischen Gartenbaukino und Urania gelegene Viennale Bar lud bei streng kontrollierter 2G-Regel zu Gesprächen und DJ-Lines in Bar und Club. Schauspiel Star Lars Eidinger brachte die Crowd zum Tanzen, die Direktor*innen der Festivals von Berlin, Locarno, Cannes (Quinzaine des réalisateurs) und San Sebastián erwiesen der Viennale die Ehre und diskutierten über die Rolle und Zukunft von Filmfestivals.