Retro: Chantal Akerman

STROMBOLI

GBR 1997
10 min
V'11

In jeder Szene von Stromboli zeigt sich Ingrid Bergman anders, verwandelt, neuschalig. Sie ist unschuldig, durchtrieben, hilflos, je nachdem und auch mal alles zusammen. Verletzlich wie beim ersten Erwachen; verhärtet wie nach ausschweifenden Nächten. Eine Frau, die den ihr zukommenden Lebensstandard beim armen Fischersmann einfordert; im nächsten Augenblick von solchen Ansprüchen mädchenhaft entkleidet. Auch so, daß man durchzusehen glaubt: an diesem Drehtag schlecht geschlafen, Streit, dann unbeschwerte Ferientage auf Stromboli. Sich derart in die Darstellung hineingeben, das darf man nur bei Rossellini. So etwas aufnehmen darf nur er. Nur seinem Blick wird das Beiläufige, um das es entscheidend geht, anmutig und schön. Nicht Natürlichkeit oder Echtheit, wie es das Mißverständnis, das naheliegt, meint. […] Eine seltene Rolle für Ingrid Bergman; auf der Kehrseite der Heiligen. Daß sie aber ein verruchtes Weib spielte, das sich auf der rauhen Insel läutern darf oder den eigentlich guten Kern enthüllen, das ist nicht der Fall. Jeder kennt die – auch in TV-Serien beliebten – Geschichten vom Guten des vermeintlich Verderbten und von der Heuchelei der Moralapostel. Fritz Lang hat ihnen in einigen Filmen eine rasante Logik, Mathematik und Soziologie gegeben. Bei Rossellini wird das schlimme Spiel von Gut und Böse zum Wellenspiel, als solches nicht unwichtig, aber begründet von einer Tiefenströmung, die nicht um die Pole von Gut und Böse sich dreht, sondern von Freiheit und Vertrauen. Der Satz vom ersten Stein, den jener werfen soll, der sich ohne Fehl weiß, ist bei Rossellini nicht der zentrale; aus «Fehl» wird bei ihm nicht ein Verfehlen, sondern ein Fehlen, ein Mangel an Vertrauen und Freiheit. Karin probiert ein Kleid im Haus der Näherin. Diese Näherin hat einen schlechten Ruf, sie gilt als oder ist das Flittchen des Ortes. Darum schert sich Karin nicht. Während sie sich umkleidet und dadurch noch mehr in die Gefahr kommt, von dem Verruf abzukriegen, beginnen einige Männer vor dem Haus mit Gesang. Für Karin, die die Zusammenhänge nicht kennt, auch nicht genügend achtet, ist der Gesang wie ein Ständchen zum Willkommen, oder heiteres Brauchtum, jedenfalls schaut sie mit Kinderaugen durchs Fenster. Sie hört nicht das Herausforderne der Verse, sieht nicht die Steine, die solchen Versen hinterherfliegen. Versteht nicht, warum ihr Mann sie eiligst aus dem Hause zerrt. Diesen Anwürfen gegenüber bleibt sie unschuldig, sie bewegt sich frei. So auch am Strand, wo sie das Kleid lupft, um zu den Kindern ins Wasser zu steigen. Das Glück, an einem Sonnentag über die Felsen zum Strand zu stolpern, und der Schmerz, der das Glück ermöglicht. Über den Sinn schweigen, vor den Bedeutungen fliehen. […] Rainer Gansera «Zu einigen Filmen Rossellinis» «Filmkritik», März 1982

Credits
Dan Films

Dan Films

16 mm
bwcol
Related Movies