Retro: Chantal Akerman

NUIT ET JOUR

Die Nacht, der Tag
Chantal Akerman
FRA, B, CH 1991
100 min
V'11

Es ist die komische Moral des «Alles oder Nichts» die Julie von Nuit et jour beseelt, die bei Tag und Nacht, bei Tag und Nacht zwei einander ergänzende junge Männer liebt, die eigentlich eins sind (gleich an Körper und Seele, schlank, geschmeidig, weiblich und verträumt). Bis auf eine kleine Ausnahme: Jack (Thomas Langmann), den Julie (Guilaine Londez) bei Tag liebt und der nachts Taxi fährt, hat schwarze Augen, Joseph (François Négret), der nächtliche Geliebte und Tagestaxifahrer, ist blauäugig. Die beiden Farben verfließen zu einem einzigen Wesen, Tag und Nacht werden zu einer einzigen Zeit, die nicht die Ewigkeit ist, sondern die Dauerhaftigkeit des Verlangens, das sich dadurch offenbart, dass es Regeln gehorcht, die es selbst bestimmt. Die beiden Liebhaber (J.+J.) ermöglichen es Julie, zu ihrer eigenen Ganzheit zu gelangen (=J.). J.+J., das sind Jack, der amerikanische Pol, und Joseph, der biblische Pol, zwischen denen die Identität und die Kultur Chantal Akermans beide einen Bogen spannen, eine Analogie zu Jules et Jim zu Ehren von François Truffaut. Julie ist ein sinnliches, begehrendes Wesen, das mit der der Kindheit eigenen Vollständigkeit und Kühnheit existiert. Sie schläft niemals. Sie lebt in der Fülle der eigenen Gegenwart, die ihr das wahre Erleben der Liebe eröffnet: Sie liebt, sie lebt ausschließlich für die Liebe. Ihr einziges Vergehen ist, den Moment zu leben und nur sie selbst zu sein, ganz das, was sie sagt, ganz das, was sie tut, ohne Einschränkung, ohne Reue und immer gegenwärtig. Dauer, soziale Ordnung und Außenwelt werden weggeschoben, werden spaßhaft auf «das nächste Jahr» verschoben. Diese Julie ist die kleine Schwester der Julie aus Je tu il elle , die zu affektbeladen ist, um noch länger unschuldig zu sein. Sie ist auch die schönste Persönlichkeit des Films, eine Figur, die es in Chantal Akermans Werk schon gegeben hat, ihm sozusagen innewohnt, ein Spiegel, der die Sehnsucht nach den Anfängen reflektiert. Zum Glück ist Guilaine Londez’ Körper zu voll und fruchtig, um bloß Träger für ein Symbol oder eine Philosophie der Liebe zu sein.

Credits
Pierre Wallon, Marilyn Watelet Co-Produktion Pierre Grise Productions (Paris), Centre National de la Cinématographie (Paris), Canal+, Sofinergie 2, Paradise Films, Ministère de la communauté française de Belgique, RTBF, George Reinhart Productions (Zürich), Fonds Eurimages du Conseil de l’Europe
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