Retro: Chantal Akerman

JE TU IL ELLE

Ich du er sie
Chantal Akerman
B, FRA 1974
85 min
V'11

In einem Artikel schreibt Janet Bergstrom zur Entstehung von Je tu il elle : «Laut [Kamerafrau Babette] Mangolte hatte Akerman sich in Belgien für eine Filmförderung beworben, um einen Spielfilm unter Mitwirkung von [Delphine] Seyrig zu machen, aber sie hatte das Gefühl, dass sie mit dem, was sie bisher an Filmen vorzuweisen hatte, das Geld niemals bekommen würde. Sie musste ganz schnell einen Film machen und so drehte sie Je tu il elle auf 35mm.» Akermans erster Spielfilm ist ein erzählender Film nach europäischer Art, in den Elemente einfließen, die aus ihrem New Yorker Experimentalfilm-Hintergrund stammen; eine kühne Studie über die unsichere Bildung einer sexuellen Identität und das Begehren. Von einer Geschichte ausgehend, die Akerman 1968 in Paris geschrieben hatte, wurde der Film in ungefähr einer Woche mit ganz wenig Geld gedreht. Wie schon in Bezug auf Hôtel Monterey betonte Akerman, wie wichtig es war, gewartet zu haben, bis sie zu einer geeigneten Form für ihre Ideen gefunden hatte: «Dieser Zeitraum von sechs Jahren erlaubte mir, eine ‹mise en scène› zu schaffen und meine Rolle als Schauspielerin war Teil dieser ‹mise en scène›.» (Janet Bergstrom «Keeping a Distance», Sight and Sound, Nov. 1999, Übers. Julia Bantzer) Der Film zeigt in drei Abschnitten: eine junge Frau allein in einem Erdgeschoßzimmer; durch eine Fenstertüre, die sie offen stehen lässt, wird sie es irgendwann verlassen. Dieselbe junge Frau als Anhalterin auf einer verregneten Autobahn, dann in Gesellschaft eines Lastwagenfahrers, der sie eine Weile mitnimmt. Schließlich lässt ein abrupter Schnitt sie ankommen am Haus einer anderen jungen Frau, zu der es offenbar eine Freundes- und Liebesbeziehung gibt, deren Fortbestand eher ungewiss scheint. Die «Hauptfigur» verhält sich anders, je nachdem, ob sie allein oder mit einem Mann oder einer anderen Frau zusammen ist. Der Film reagiert auf dieses «Jenachdem», und gebärdet sich in jedem seiner drei Teile anders. Sexualität kommt u. a. vor, aber sie wird aus Schaufensterkäfig und Hauptwortberühmtheit entlassen, wie anderes auch: Mann, Frau, Paar, Innen, Außen, Weggehen, Ankommen, Zusammensein, Alleinsein, Handeln, Zusehen, Essen, Trinken, Wachen, Schlafen, Tag, Nacht. Es braucht nur sehr wenige Figuren und «Elemente», um ein Spiel in Gang zu bringen, das aussieht und sich anfühlt wie eine richtige Welt, in der irgendetwas zur Hand genommen und etwas getan wird, das aussieht wie eine richtige Handlung. Was getan wird, wirkt wie eine Erprobung, wenn die Figur guten Mutes scheint, wie ein «Als-ob», das in einen Leerlauf gerät, wenn eine Trägheit(?), Unlust(?), Ratlosigkeit(?) die Hauptfigur überkommt. Sie entzieht sich, der Film entzieht sie mit plötzlichen Schnitten. Im ersten Teil brechen die Dämmerungen sehr langsamer Abblenden an und werden schwarze Filmnacht. Geräusche gewinnen in der Dunkelheit und im Licht «neben» den Figuren ein Eigenleben. Die Darsteller wirken ein wenig wie unpersönlich konkrete Elemente; die namenlosen Elemente, zu denen auch Ton, Licht und Schnitt gehören: die Spuren der Apparate – spielen mit, werden Handlungsträger, fast wie Personen. Julia Bantzer

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