Retro Warhol

BLOW JOB

Andy Warhol
USA 1964
36 min
V'05

Warhols filmischer Voyeurismus musste unvermeidlicherweise einen Schritt hin zur Pornografie tun, schon deshalb, weil er immer in irgendeiner Weise sexuell ausgerichtet war. Und als dann die Leser der «Village Voice» 1964 einen neuen Warhol-Film mit dem Titel Blow Job angekündigt sahen, war ihr Schock eher der eines Notiznehmens die kleine Gemüts-Erschütterung, die das Unvermeidliche herannahen sieht und sich wundert, weshalb es so lange gedauert hat. Ein eher nichtssagend robuster Typ, den Rücken einer Backsteinmauer zugekehrt, sein Gesicht in Großaufnahme, schaut in die Ferne, darauf wartend, dass jemand ihm das verabreicht, was der Titel so knapp und bündig verspricht. Eine männliche Schulter in schwarzem Leder streift den unteren Bildrand, jemand kniet da nicht sichtbar, die Handlung kann beginnen. Die Filmlänge behauptet identisch zu sein mit der Dauer der Fellatio obwohl aufmerksame Zuschauer sich fragen mögen, ob Blow Job nicht wieder eines der Werke ist, wo Warhol ein bisschen «fälscht». Doch das, was wir nicht zu sehen bekommen, scheint der wirkliche Blow-Job zu sein. Der Höhepunkt in Warholschem Realismus scheint von demjenigen, der für das Timing zuständig war, absichtlich (und unbestimmt) hinausgeschoben, damit der Film seine Länge von 35 Minuten erreicht. Der Film ist ein Stück witziger Pornografie. Die Faszination von Kiss beruht auf einem Paradox von Nähe und Distanz. Dasselbe trifft auf Blow Job zu, aber das räumliche Paradox der Großaufnahme (im wirklichen Leben der Raum des Kusses selbst) ergibt sich dadurch, dass die eigentliche Handlung ganz außerhalb des Bildrahmens stattfindet. Kiss anschauend, verspürt der Zuschauer eine Nähe und eine Distanz, die im Leben nicht möglich sind. In Blow Job wird dieser Raum erweitert um einen imaginären Interessens-Fokus, einen halben Meter unterhalb des Bildausschnitts, den das auf der Leinwand tatsächlich erscheinende Gesicht uns keinen Moment vergessen lässt. Die perverse Konstanz des gewählten Ausschnitts verweigert obstinat die Bewegung zur Körpermitte, verharrt bei sich in 35-minütiger Großaufnahme, welche so etwas wie die unübertreffliche Apotheose des «Reaction shots» sein muss. Doch dieselbe Insistenz, die anderswo bei gleicher Obstinatheit die Aufmerksamkeit zerstreut, lenkt sie hier dem «Großen Ungesehenen» zu einer Hauptkategorie der neueren amerikanischen Kunst , anhand einer Verfahrensweise, die Marcel Duchamp mutatis mutandis zweifellos sehr interessant gefunden hätte. Denn diese Übung im Evidenten ungesehener Dinge ist Duchampsche Pornografie. Visuell und sexuell geht Marcel Duchamps Kunst (nach seinem Rückzug von der Malerei um 1917) stets mit der Weigerung einher, ein sich selbst genügendes Schaustück herzustellen, und negiert das Primat der sinnlichen Unmittelbarkeit zugunsten eines ferner liegenden Etwas, das in der Struktur der Perzeption verschlossen liegt. Der Duchampsche Kontext bringt stets eine Verschiebung des Interesses vom Sichtbaren hin zu einem marginalen, imaginären Belang des Sehens mit sich, der in uns durch das Schattenspiel der Perzeption, durch die Aktivierung von Gedanken und wechselnden Antworten entsteht, selbst wenn das Ding vor unseren Augen stumpf, an sich uninteressant oder absurd ist. Der Ort des Interesses wird zur Wirkstätte dieser unsichtbaren Perzeptionen, dort werden ihre geisterhaften Bewegungen innerlich examiniert, wird gewürdigt, wie eine vom sichtbaren Ding verschiedene Realität sich herstellt und im Bewusstsein zurückweicht, während die Scharade des Beobachtens und Zur-Kenntnisnehmens durchlaufen wird. Die Arbeit mag kryptisch, introvertiert, wenig ansprechend oder absurd sein. Darauf kommt es hier nicht an: Ihre ganze Kraft liegt im Provozieren von Antworten, die versetzt sind. Zum Zeitpunkt, als Warhol Blow Job drehte, war er involviert in eine Art von Begehren, die ihn zum wohl interessantesten Pornografen des Jahrhunderts gemacht hätte einer Ambition, der er sicherlich in größerem Umfang nachhing und nachging. Aber die Richtung, welche die Warholsche Pornografie nach 1967 einschlug, hat nichts mehr mit dem brillanten jeu desprit zu tun, welches Blow Job ist. Warhols Pornografie ist verstrickt in eine Logik von Frustration und Evasion. Filme wie Flesh, Trash, Blue Movie und Women in Revolt gehören in den Bezirk der Pornografie-Komödie mit einigen Zutaten, wie etwa der Einführung des männlichen Sex-Objekts und der Transen-Komödie. Joe Dallessandro steht im Mittelpunkt von Flesh und Trash: Sein nackter Körper, sein runder Hintern, seine baumelnden Genitalien, sein klassischer Torso und sein Gesicht eines «good-boy» stehen im Zentrum der erotischen Aufmerksamkeit der Kamera. Deren Aufgabe ist nichts anderes, als sich seinem Körper zu widmen die Beziehung zwischen Kamera und Objekt könnte simpler nicht sein. Die Kamera fordert visuell. Dallessandro gibt visuell. Warhol ist ein Mensch, der, bei aller Intelligenz, die Leute nicht wirklich gut versteht: Person-Sein ist ein Mysterium für ihn. Seine Arbeiten finden ihre Kraft darin, dass sie Vorschläge machen, wie dieses Mysterium strukturiert ist. Warhols voyeuristische Obsedierung durch das Porträt ist der Bereich, wo dieser Aspekt seiner Kunst am deutlichsten wird. Auf der anderen Seite ist er tief verstrickt in das Unpersönliche des pornografischen Umgangs mit dem Anderen: Die Kehrseite von Warhols mystifizierter Erfahrung mit der Person ist die Heftigkeit des Anonymen. Eine Möglichkeit vielleicht nicht normativ, sondern hypothetisch , Pornografie zu definieren, ist, den Andern als bloße Extension seiner eigenen Fantasien und Bedürfnisse zu verstehen. Das ist eine selbstbezogene, ja eigentlich autistische Praxis, bei der die Fantasie die größte Rolle spielt: Bei der Pornografie geht es immer um vorgestellten Sex. Das heißt, es geht um unsere Einbildungen und um uns selbst. Dies verleiht der Angelegenheit eine gewisse Eintönigkeit, das ist eine Erotik ohne Abenteuer; es ist «langweilig». Immerhin interessant, dass so viele Leute sich darüber beklagen, dass Pornografie langweilig ist. Sie ist natürlich langweilig; jeder, der sich näher mit ihr eingelassen hat, weiß das. Dennoch ist sie auch fesselnd und passionierend. Mir scheint, Pornografie ist öde, weil Warten öde ist und Pornografie verlangt uns Warten ab. Wir warten ab durch sie hindurch, hoffen auf das Nahen jener wenigen Momente, die den Nerv irgendeiner privaten Fantasie, eines Spiels, eines Bedürfnisses treffen. Wir warten, durch ihre Andersheit hindurch, angestrengt ab, bis es schließlich auf uns zukommt. Pornografie ist ein Geduldsspiel. Diejenigen, die von ihrer Unmittelbarkeit reden, sprechen in beträchtlicher Verwirrung. Diejenigen, die von ihrem Erregenden reden, flüchten sich in Halbwahrheiten. Die Erfahrung, nicht erregt zu werden, hat ebensolche Bedeutung. Man befindet sich, sitzend, beobachtend, in einer vagen, losgelösten sexuellen Empfänglichkeit, passt ständig auf die eigenen Reaktionen auf, fragt sich, wann der «Thrill» kommen wird, weshalb man ihn nicht an dieser oder jenen Stelle verspürt, sucht nach den Quellen der Erregung. In diesem Vagheits-Zustand wird die Person diffus, lax, aufnahmebereit, offen wartet auf jenen spannenden und singulären Moment (der eintreten mag oder nicht), wenn das wirkliche Begehren auf die Leinwand springt, so wie der Hund nach dem Bissen schnappt. Während der Warterei wird man erfinderisch. Das, was sich da auf der Leinwand ausbreitet das Gesicht, der Schenkel, jene Brust, jene Hüfte , ist nicht ganz das Richtige: Die Vorstellung will das Vollkommene und auferlegt uns ständig ihre Vollkommenheits-Vision als Teil dessen, was uns hindert zuzuschnappen. Die Fantasie und das Bild auf der Leinwand spulen getrennt ab, Seite an Seite. Und wenn sie aufeinandertreffen, geschieht das mit einem Bums. Was hat das alles mit den Perversitäten unseres Mannes zu tun, seiner Duchampschen Pornografie? Nur dies, dass seine eigenen pornografischen Filme endlos lange warten. Ihre Weigerung, die Sexualität gegenständlich zu geben, gleicht ebensosehr der Erforschung eines Mysteriums wie das bei den Porträt-Filmen der Fall ist. Zur Zeit von Blow Job schien Warhol sich zu begnügen mit diesem Mysterium und mit dem Witz, den er daraus schlagen konnte. Doch seine Bindung an Duchamps Strategien und an die autistische, evasive Gesinnung, die mit ihnen einhergeht, wurde schließlich von seiner eigenen voyeuristischen Mentalität überwunden. Er konnte sich selbst letztlich nicht davor zurückhalten, einen tiefen Blick ins Hardcore zu tun. Und so begann Warhol in den späten Sechziger Jahren sich mehr auf direkte Pornografie zuzubewegen, eine Bewegung, die in seinem letzten Film, bei dem er selbst Regie führte, kulminierte dem dürftigen Lonesome Cowboys, seinem vielleicht erfolglosesten Langfilm. Duchamp aufgebend und nicht im Besitz der zügellos-drängenden Persönlichkeit Morrisseys, verlor er den Kontakt zu all dem, was ihn als erotischen Künstler interessant gemacht hatte sah sich, in Lonesome Cowboys, herumzappelnd in niedlicher, kichernder, voyeuristischer Konfusion. Duchamps Kunst hat mit Transvestismus, Kastration, Sadomasochismus zu tun, mit Hingabeverweigerung, Entbehrung im Sinnlichen kurz mit der Materie der Pornografie. Und eine Zeit lang zumindest bei Blow Job schien es so, als würde Warhol den Pornografie-Kelch seines spirituellen Vaters füllen. Aber er verpfuschte den Job. Stephen Koch, «Stargazer», London/N.Y. 1991 Übersetzung von Johannes Beringer Wird gemeinsam gezeigt mit Screen Tests (Reel 8)

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