Retro: Chantal Akerman

Angst essen Seele auf

Rainer Werner Fassbinder
DEU 1974
91 min
V'11

Rainer Werner Fassbinder: Ich finde, daß Geschichten, je einfacher sie sind, auch um so wahrer sind; der gemeinsame Nenner für viele Geschichten ist dann eine Geschichte, die so einfach ist. Wenn wir die Figur des Ali noch komplizierter gemacht hätten, dann hätten es die Zuschauer noch schwerer gehabt, mit dieser Geschichte fertig zu werden. Wäre diese Figur noch komplexer geworden, so hätte es der einen Seite, der Kindlichkeit dieser Beziehung zwischen Ali und Emmi sehr geschadet – während jetzt die Geschichte so naiv ist wie die beiden Menschen, um die es geht. Obwohl die Beziehungen natürlich viel komplexer sind, das ist mir schon klar. Aber ich bin der Ansicht, daß jeder Zuschauer sie selbst mit seiner eigenen Realität auffüllen müsste. Und die Möglichkeit hat er halt auch, wenn eine Geschichte so einfach ist. Ich finde, die Leute müssen ihre eigenen Verantwortungsmöglichkeiten finden – sicher, man kann auch streng ideologisch vorgehen, aber das finde ich für das große Publikum nicht so relevant. […] Sie haben die Möglichkeit, oder sie sind sogar gezwungen, sich dieser Geschichte zu entziehen, aber nicht zuungunsten des Films, sondern zugunsten ihrer eigenen Realität – das halte ich für das Wesentliche. Filme müssen irgendwann einmal aufhören, Filme zu sein, müssen aufhören, Geschichten zu sein, und anfangen, lebendig zu werden, daß man fragt, wie sieht das eigentlich mit mir und meinem Leben aus. Ich glaube, bei diesem Film ist jeder gezwungen – weil ihm die Liebe der beiden klar und rein entgegenkommt –, seine Beziehungen zu dunkelhäutigen und auch zu älteren Menschen zu überprüfen. Das halte ich schon für etwas sehr Wesentliches. Da kann man gar nicht einfach genug sein. Hans Günther Pflaum: Andererseits wirkt diese Einfachheit unglaublich provozierend: wenn etwa Ali in Emmas Wohnung sitzt, man sieht die große, einsame, leere Wohnung und eine kleine, einsame Frau, er erzählt von seinem Zimmer, indem sie zu sechst hausen – man fragt sich ganz spontan, ob Ali nicht zu Emmi ziehen sollte. Rainer Werner Fassbinder: Ja, wir wollten auch versuchen, das so simpel durchzuhalten, daß man immer sagt: Eigentlich wären viele Dinge möglich. Ich halte den Menschen nicht für unveränderbar. Das ist schon auch in der Struktur des Films drin, daß man sagt, ja, so ein bißchen anders, das geht schon besser. Und wenn man da weiter denkt, geht’s immer noch ein bißchen besser. Zu dem großen ideologischen Entwurf bin ich nicht fähig, das ist auch nicht meine Aufgabe, dazu sind andere Leute geschulter und auch richtiger. Mich interessieren halt diese kleinen Möglicheiten, weil ich davon eine Ahnung habe und die auch spannend finde. Hans Günther Pflaum «Film-Beobachter», Februar 1974

Credits
  • Brigitte Mira - Emmi Kurowski
  • El Hedi ben Salem - Ali
  • Barbara Valentin - Inkeeper Barbara
  • Irm Hermann - Daughter Krista
  • Rainer Werner Fassbinder - Son-in-law Eugen
  • Rainer Werner Fassbinder
  • Jürgen Jürges
  • Fritz Müller-Scherz
  • Thea Eymèsz
  • Rainer Werner Fassbinder
  • Rainer Werner Fassbinder
Tango-Film
35 mm
col
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