Kinematografie: AUSTRIAN AUTEURS

Die 70er – Eine Filmdekade im Aufbruch

Das Jahr 1980 markiert einen wesentlichen Wendepunkt in der Geschichte des österreichischen Kinos: Mit der Einführung des Filmförderungsgesetzes im November erhält das Land – als eines der letzten in Westeuropa – ein staatliches Filmförderungswesen. Von dieser gesetzlichen Vorgabe ausgehend, die zehn Jahre zuvor erstmals angekündigt wurde, schafft man in den kommenden Monaten und Jahren jene Rahmenbedingungen, unter denen ein neues, heimisches Kino bis heute gedeiht: Die Gründung des Österreichischen Filmförderungsfonds (später Filminstitut) sowie die Etablierung des Film/Fernseh-Abkommens mit dem ORF tragen maßgeblich zu dessen weiterer Entwicklung bei.

Dass diesem lange überfälligen politischen Handeln ein mindestens ebenso langes Tauziehen vorangeht, wird heute oft übersehen. Zwar existiert eine Filmförderung für künstlerische Filme von Seiten des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst ab den 1950er-Jahren, bei den vergebenen Summen handelt es sich jedoch – gerade im Vergleich zu dem, was etwa Theater oder Opernhäuser erhalten – um Peanuts. Dies hat zur Folge, dass der Großteil der österreichischen Filmproduktion sich an rein kommerziellen Interessen orientiert, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Erreicht wird damit allerdings nur das Gegenteil: Die fehlende Risikobereitschaft und immer flacher und durchschaubarer werdenden Filme treiben die Zuschauer scharenweise aus den Kinos.

Dieses Fehlen jeglicher Ambition sorgt allerdings auch dafür, dass KünstlerInnen aus dem Bereich der bildenden Kunst das Medium Film für sich entdecken und mit ihren Arbeiten teils erhebliche Erfolge weit über die Landesgrenzen hinweg feiern können: Marc Adrian, Peter Kubelka, Kurt Kren, VALIE EXPORT oder Ernst Schmidt jr. stellen eine Avantgarde im besten Wortsinn dar, sind VorkämpferInnen für eine Entwicklung, die im weiteren Verlauf auch in der Spielfilmproduktion ankommt. Gleichzeitig führt eine Programmreform des ORF Ende der 1960er-Jahre dazu, dass das verhältnismäßig junge Medium Fernsehen sich ein paar Jahre lang jenen Mut erlaubt, den das Kino so schmerzlich vermissen lässt.

Austrian Auteurs wirft in insgesamt 15 Programmen, von denen fünf im Rahmen der Viennale präsentiert werden, einen Blick auf ein bewegtes Filmjahrzehnt: In den 1970er-Jahren ist das kommerzielle österreichische Kino weitgehend tot, ein neues Kino, das oft einhergeht mit Impulsen und Ideen aus Theater, Literatur, Malerei, Musik oder Performancekunst, wird aus der Taufe gehoben. Dieses neue Kino ist nicht nur von Inspiration aus anderen Künsten sondern auch anderen Kulturen getragen: So studiert der in Aserbaidschan geborene Mansur Madavi Grafik an der Wiener Akademie für bildende Künste, ehe er sich dem Medium Film zuwendet und mit DIE GLÜCKLICHEN MINUTEN DES GEORG HAUSER einen der zentralen Filme dieses Jahrzehnts realisiert (und in gewissem Sinne Michael Hanekes DER SIEBENTE KONTINENT vorwegnimmt). Der Kanadier John Cook hat sich als Modefotograf in Paris einen Namen gemacht, bevor er mit LANGSAMER SOMMER und SCHWITZKASTEN zwei der schönsten, lässigsten und sommerlichsten Wien-Filme aller Zeiten dreht. Der griechische Regisseur Antonis Lepeniotis entspringt einer Theaterdynastie und übersetzt in seinen Arbeiten antike Tragödienstoffe in die Jetztzeit, wo er politische Missstände, wie etwa jene in seiner Heimat, aufzeichnet.

Wenn es so etwas wie einen verknüpfenden Dreh- und Angelpunkt in dieser Reihe gibt, dann könnte dieser Wilhelm Pellert sein. Er ist nicht nur mit allen oben genannten Regisseuren bekannt und arbeitet zum Teil an deren Filmen mit, sondern schafft mit JESUS VON OTTAKRING eine der zentralen Arbeiten des österreichischen Kinos der 1970er-Jahre: Eine bärbeißige Abrechnung mit der österreichischen Mentalität, die nach oben buckelt und nach unten tritt, vor lauter Angst, es könne sich etwas zum Positiven ändern. Ein bisschen wie der unsichtbare Jesus im Film versuchen auch die FilmemacherInnen jener Jahre aufzuwiegeln und wachzurütteln, sind dabei aber nicht zuletzt mit sich selbst beschäftigt. Erstmals organisiert man sich in Berufsverbänden, finden Filmschauen wie in 1977 in Velden – der Vorläufer der heutigen Diagonale – statt, und auch die Viennale räumt heimischen Filmen (unter dem vielsagenden Label „Informationsvorstellungen“) Plätze ein. Die daraus resultierenden Diskussionen kreisen stets um die Frage, was der österreichische Film eigentlich sein sollte.

Die „Klammer“ unserer Auswahl, die vielleicht eine Antwort auf diese Frage gibt, bilden zwei Filme, die die radikale Suche nach dem eigenen Ausdruck eint: Herbert Holbas DIE ERSTEN TAGE ist einer jener vergessenen, ungezähmten Manifest-Filme, die von der ersten Sekunde an aufs Ganze gehen und das Kino neu zu erfinden suchen. Angela Summereders ZECHMEISTER hingegen steht für eine andere Form des Aufbruchs. Mittels rigider, man könnte sagen sparsamer Einsätze der Mittel rebelliert auch sie gegen überholte Sehtraditionen und Erwartungen. Anfang und Ende einer Dekade, in der das österreichische Kino mutig, frei und experimentierfreudig ist wie nie zuvor und danach.