LA NOUVELLE EVE

Spätere Jahrtausende werden aufgrund erhaltener Zelluloidreste das ausgehende 20, Jahrhundert als Zeit der verschärften Rollenkrise für heranwachsende Frauen um die dreißig einstufen. Erwartete die Gesellschaft von ihnen doch damals immer noch,
einen Lebensplan auszuführen. Diese unverständliche Zumutung empfindet auch Camille, die von Party zu Party stöckelt, zwischendurch von Krisen gebeutelt ist, ihre frisch erstandene Tüte Psychopharmaka aber dennoch auf Betreiben des ihr wildfremden
Alexis schluchzend in den Müll kippt. Camille ist gewöhnlich cool. Flirts auf Vernissagen oder Sex im Fahrstuhl mit Ecstasy sind unterhaltend. Ehen mit Kindern sind es nicht. Nichts ist spießiger als ihr Bruder Emile. Die ungleichen Geschwister hassen sich naturgemäß, und Laurent Lucas hat hier eine der witzigsten Filmszenen: wenn dieses Bündel an Vernunft in Eves Küche einen Nervenzusammenbruch bekommt und seine verhaßt-verrückte Schwester als das einzig Normale bezeichnet, das er je gesehen hat. Hier wird die Komödie auf einmal erfrischend moralisch.
Aber eigentlich ist dieses Porträt einer "neuen Eva" mit seiner süperben, fragil-rabiaten Hauptdarstellerin Karin Viard eine urfranzösische Liebesgeschichte. Camille rennt ständig gegen Wände, ist das Gegenbild jeder weiblichen Heldin und verliebt sich in den Kommunisten Alexis, ja, den mit der Psychopharmakatüte, der natürlich glücklich verheiratet ist und zwei Töchter hat, Wie das ausgeht? Lohnt sich anzusehen. Der Film ist eine moderne Komödie, nur scheinbar ohne Anspruch auf Tiefgang. Selbst in die
Nebenfiguren möchte man sich verlieben, denn Regisseurin und Drehbuchautorin Catherine Corsini versteht es, mit flüchtigsten Szenen einen Charakter geradezu vollständig vor dem inneren Auge erstehen zu lassen. Das ist eine Kunst: genau wie die, das Chaos der Rollenmodelle in einer Zeit abzubilden, in der nur gewiß ist, daß nichts gewiß ist. (Simone Mahrenholz)