Retro: Chantal Akerman

MOSES UND ARON

Danièle Huillet, Jean-Marie Straub
AUT, BRD, FRA, I 1974
106 min
V'11

Straub hat Schönbergs Oper, die erst 1957 szenisch uraufgeführt worden ist, 1959 in Berlin gesehen. Er befand sich damals auf der Spurensuche zu seinem Bach-Film, mit dessen Idee er 1954 aus der Provinz nach Paris gekommen war. Bevor er Filme machte, hatte er also schon diese beiden musikalischen Projekte; auf ihre Verwirklichung mußte er 14 Jahre ( Chronik der Anna Magdalena Bach , 1968) und 15 Jahre ( Moses und Aron ) warten. So lange hat er gebraucht, um Geldgeber zu finden. Die Vorarbeiten zu Moses und Aron waren besonders schwierig. Zwar lag das Drehbuch schon seit 1970 vor, aber als Jean-Marie Straub und Danièle Huillet dann endlich die Finanzierung durch komplizierte Coproduktionsabkommen gesichert hatten, waren die Termine für Dirigent, Chor und Orchester schwierig zu koordinieren. Die Autoren hatten sich für Michael Gielen entschieden, einen Musiker, dessen ästhetische Auffassungen den ihren sehr nahekommen. Der Coproduzent Österreichischer Rundfunk stellte Chor und Orchester zur Verfügung, hinzu kamen die Sänger Günter Reich (Moses) und Louis Devos (Aron). […] Mir scheint, daß Straub/Huillet in keinem ihrer Filme, die ich zu den erstaunlichsten und wichtigsten dieser Jahre zähle, derart souverän über Mittel verfügt haben wie hier, was nicht heißt, Moses und Aron sei opulent. In der asketischen schnörkellosen, funktionalen Ästhetik Straub/Huillets gibt es keine Schlemmereien. Aber wie Schönberg bewiesen hat, daß man aus einer Zwölftonreihe ein ganzes Werk entwickeln kann, so besitzt auch die «Minimal Art» von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet ihre Subtilitäten, ihre Variationen, ihre kompositorischen Vielfältigkeiten: viel Atem und einen weiten Himmel. Ja, innerhalb eines so radikal eingeschränkten, verdichteten ästhetischen Kosmos haben Veränderungen eine umso größere Bedeutung. Mehr noch als die faszinierende Komposition von Musik, Originalton und Bild, sind mir Bilder, also Einstellungen, im Gedächtnis geblieben, die, von der lapidaren ersten, über einen 300-Grad-Schwenk, den bäuerlichen Tanz, die Opferung, die Sprünge in den Abgrund, den brennenden Dornbusch, eine Treppenstufe zum Altar, die Schlage, die aus dem Bild kriecht, die in die Arena einströmende Herde Viehs, die Reiter am Hügelrand, den Blick auf den Berg der Offenbarung und den Himmel mit dem Mond und dem Berg führen, bis hin zur Schlußeinstellung mit dem gefesselten Aron im Uferschlamm eines Sees, dessen spiegelglatte Fläche bis zum Horizont reicht, an dessen Rand sich Berge erheben. Vor allem aber auch die von magischer Sehnsucht erleuchteten Nilaufnahmen haben sich mir eingeprägt: Bilder einer utopischen Landschaft, eines Ziels und eines Versprechens, das, was Bloch im letzten Kapitel des «Prinzip Hoffnung» schreibt, «allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat». Wolfram Schütte «Frankfurter Rundschau», 28. März 1975

Credits
Koproduktion des Österreichischen Rundfunks und der ARD (einschließlich Westberlin), Hessischer Rundfunk, Janus-Film & Fernsehen, unter Mitfinanzierung von Straub-Huillet, RAI, ORTF, Taurus-Film, NEF Diffusion

Taurus Film

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