Art Theatre Guild

Kaigenrei

Coup d'Etat
Yoshida Kijū
Japan 1973
110 min
V'03

35mm/1:1,33/Schwarzweiß 109 Minuten Kaigenrei , das Porträt von Kita Ikki und des gescheiterten Militärputsches vom 26. Februar 1936, bildet den Abschluss von Yoshida Yoshishiges «Geschichtstrilogie», die er mit Erosu + Gyakusatsu (Eros Plus Massacre, 1969, siehe S. 62) rund um die Ermordung des Anarchisten Ôsugi Sakae und seiner Geliebten Itô Noe im Jahr 1923 begonnen und mit Rengoku eroika (Heroic Purgatory, 1970), einer Reflexion über die Geschichte revolutionärer Bewegungen im Nachkriegsjapan vom Scheitern militanter Auseinandersetzungen der Kommunistischen Partei in den 50er Jahren über den bewaffneten Kampf anarchistischer Zellen in den 70ern bis zu seinen Möglichkeiten in naher Zukunft fortgesetzt hatte. 1972/73 zeichnete sich mit der Hinwendung zu Studioregisseuren und Regieveteranen eine Änderung der Ausrichtung von ATG ab, und Filme, die sich unmittelbar mit der gegenwärtigen japanischen Situation beschäftigten, wurden seltener. Viele sehen in Kaigenrei deshalb das letzte große Meisterwerk der Frühphase von ATG. Kaigenrei umfasst den Zeitraum von 1921 bis 1937, von der Ermordung des Großindustriellen Yasuda Zenjirô durch Asahi Heigo, der wie aus seinem Testament hervorgeht von Kita Ikkis Buch «Nihon kaikaku hôan» (Maßnahmen zur Neugestaltung Japans) beeinflusst war, bis zum Tod Kitas, der als geistiger Führer der Ermordung von Premierminister Inukai Tsuyoshi und des fehlgeschlagenen Putsches von Armeekadetten am 15. Mai 1932 sowie des Putschversuchs junger Armeeoffiziere am 26. Februar 1936 hingerichtet wurde. Da der Film aus der Perspektive Kita Ikkis erzählt wird, ist nicht der gesamte Februar-Putsch dargestellt, sondern nur ein Teil des historisch einschneidenden Ereignisses. Was uns der Film stattdessen präsentiert, ist Kitas Alltag: Wie er vor dem Hausaltar versunken die Lotus-Sutra rezitiert, wie er seine Frau Suzu unterstützt und wie er Nishida Mitsugi und andere Beteiligte an dem Putsch bei sich zu Hause empfängt. Da das japanische Tennô-System nach den Worten Takeuchi Yoshimis «alles bis in die letzte Wurzel durchwirkt», bedeutet über den Tennô und das Tennô-System nachzudenken, über den Alltag nachzudenken. Während Kita seine «Maßnahmen zur Neugestaltung Japans» schrieb, setzte er sich mit dem Tennô-System im Alltag auseinander, und zwar, Yoshida zufolge, nicht mit Hilfe seiner «Philosophie», sondern seiner «Persönlichkeit». In Erosu + Gyakusatsu skizzierte Yoshida den Prozess, wie ein «geistiges Verbrechen» aufgrund anarchistischer Gedanken zu einem Massaker durch den Staatsterror führt. In Kaigenrei zeichnet er den Weg des rechtsnationalen Denkers Kita Ikki nach, der eine Revolution innerhalb des Tennô-Systems anstrebte und wegen Blasphemie gegen den Tennô exekutiert wurde; nicht jedoch wegen der Blasphemie durch seine «Philosophie», sondern durch seine «Persönlichkeit». Es versteht sich wohl, dass Yoshida nach Erosu + Gyakusatsu unbedingt Kaigenrei drehen musste, aber die beiden Filme stehen trotz der Gemeinsamkeit, dass sowohl Ôsugi Sakae als auch Kita Ikki von der Staatsgewalt ermordet wurden, in starkem Kontrast zueinander. Während nämlich Ôsugi von der Staatsmacht getötet wurde, weil er sie ablehnte, wurde Kita von jener Staatsmacht hingerichtet, an die er selbst glaubte. Es ist wichtig, aus den beiden Filmen die Unterschiede der beiden im Verhältnis ihrer Philosophie zur Staatsmacht, die in ihrer Ermordung resultierte, herauszulesen und nicht die Gemeinsamkeit der Ermordung durch den Staat. Kitas Philosophie gegenüber dem Tennô-System war sehr kompliziert und weil er die absurde japanische Denkweise verinnerlicht hatte, die das System jenseits der Frage von Befürwortung oder Ablehnung als sakrosankt betrachtet natürlich nichts, dessen er sich leicht entledigen konnte. Kaigenrei ist eine am Beispiel Kita Ikkis sorgfältig ausgearbeitete Kritik am Tennô-System, die sich, je sorgfältiger sie ausgearbeitet wird, desto eher gegen das Medium dieser Kritik, nämlich Kita Ikki selbst, richtet. Denn werden das Tennô-System und der moderne Nationalstaat, der das Tennô-System ergänzt und zur selben Zeit stützt, nicht gleichzeitig abgelehnt, führt eine Ausklammerung der Auslegung des Tennô-Systems bei einer Kritik desselben als Kritik an der Nation weder zu einer Befürwortung noch zu einer Ablehnung. Als unvermeidliche Folge von Erosu + Gyakusatsu kritisiert der Film anhand von Kita Ikki das Tennô-System nicht nur, er legt auch die Grenzen seiner Beziehung zur Nation offen und erbringt den Beweis, dass eine Revolution innerhalb des Tennô-Systems keine wirkliche Revolution sein kann. Während der Formierung der Neuen Linken in den 60er Jahren und deren Auflösung setzten sich in Japan nicht wenige linke Intellektuelle mit dem rechtsradikalen Gedankengut der Vorkriegszeit auseinander und begannen, bestimmte revolutionäre Ideen und seinen Anarchismus zu schätzen. Neben dem Soziologen und Tennô-System-Anhänger Gondô Seikyô und dem Ideologen des japanischen Agrarianismus, Tachibana Kôzaburô, wurde dabei häufig Kita Ikki aufgegriffen, und man kann sagen, dass Kaigenrei ein Versuch war, der Verwirrung, in die die linke Ideologie durch die Zerstörung des Subjektbegriffs seit der antistalinistischen Kritik gestürzt worden war, auf theoretischer Ebene entgegenzutreten und eine andere Möglichkeit der Geschichtsinterpretation aufzuzeigen. Yoshida wählt dafür eine Ausdrucksweise, die allein aus der subjektiven Sicht Kitas erzählt wird, und die selbst die widersinnige Hinrichtung Kitas durch die Armee des Tennô, dem er unerschütterlichen Glauben schenkte, gänzlich unspektakulär darstellt. Auch als Kita vor seiner Erschießung von einem Soldaten gefragt wird, ob er noch ein letztes Mal dem Tennô Glück und ein langes Leben wünschen wolle, und er antwortet, er sei eigentlich nicht dagegen, aber er habe beschlossen, vor dem Tod keine Scherze zu machen, ist das weder tragisch noch heroisch. Fragen rund um das Tennô-System verfolgte Yoshida weiter bis zu seinem Film Arashigaoka (Wuthering Heights, 1988). Das Drehbuch zu Kaigenrei stammte von Betsuyaku Minoru, einer Gallionsfigur der freien Theaterszene und des Untergrundtheaters; produziert wurde der Film vom Filmkritiker Ueno Kôshi, der dafür ausnahmsweise sein angestammtes Metier verließ. Als Schauspieler setzte Yoshida neben einigen bekannten Größen vor allem Theaterschauspieler ein. Wie Natsu no imôto (Dear Summer Sister) ein Jahr zuvor für Ôshima war Kaigenrei auch für Yoshida die letzte Zusammenarbeit mit ATG. (Hirasawa Gô) (Joan Mellen, «The Waves at Genjis Door», New York: Pantheon Books 1976, pp. 175179)

Credits
  • The Japan Foundation
  • Mikuni Rentaro
  • Matsumura Yasuyo
  • Miyake Yasuo
  • Betsuyaku Minoru
  • Hasegawa Motokichi
  • Ichiyanagi Sei
  • Matsuda Kazuo
Gendai Eigasha
35 mm
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