Nicht mehr fliehen

STROSZEK

Werner Herzog
BRD 1976, 1977
108 min
V'06

Drei Randfiguren der Gesellschaft meinen, dass ihnen ein anderes Leben möglich sein müsste als ihr bisheriges. Der Berliner Straßenmusikant Bruno Stroszek wird aus dem Gefängnis entlassen. Die Prostituierte Eva wird von Zuhältern terrorisiert und kommt bei ihm unter. Sein Nachbar, Herr Scheitz, ein alter, gebrechlicher Mann, weiß einen Ausweg, denn er hat einen Neffen in Amerika. Sie beschließen, dort ein «neues Leben» anzufangen, weil dort «Platz genug» sei. Wie Kinder im Märchen machen sie sich auf den Weg. Eva hat alleine genug Realitätssinn, um Geld zu verdienen. Wenn sie abhaut, zerbricht der Traum. Wie ein in sein innerstes Reservat getriebener Indianer erreicht Bruno seine letzte Station, ein im Winter trostlos verlassenes Indianerreservat in North Carolina. Während er mit einem Sessellift in einen unsichtbaren Himmel abhebt, fährt sein leerer Truck auf dem Parkplatz im Kreise und setzt in dem Automatenzoo ein «Dancing Chicken» immer wieder die Scheibe in Bewegung, die es zu tanzen zwingt. Stroszek ist bei Herzog der Name eines Stammes. Schon in Lebenszeichen (1967/68), seinem ersten Spielfilm, heißt die Hauptfigur so. Stroszek trage, sagte Herzog, «aufgrund des Unmaßes seiner Auflehnung titanische Züge, und er sei deshalb elend und schäbig gescheitert, wie alle seinesgleichen.» («Filmkritik» 3/1968, S. 176). Der deutsche Soldat, der 1942 auf einer griechischen Insel stationiert ist, verfällt in einen Wahnsinn, der aus der Gewalt um ihn entsteht und die er zurückgibt. Der Krieg ist Herzog allerdings nur ein Vorwand, denn wie alle die deutschen Filmemacher seiner Generation interessiert er ihn gar nicht. Von der Gewalt des Krieges bzw. der Deutschen ist nicht das Geringste zu sehen. Der Krieg ist eines der Zeichen, von denen sich Herzogs Filmfiguren in «einer immer dichter werdenden zeichenhaften Welt gleichsam umstellt» sehen. Von daher versuchen sie ihre «titanischen» Ausbrüche. Auf sie kommt es an, nicht auf die Realität, der sie entfliehen. Es ist eine innere Welt. Sie entstammt der Romantik. Herzog ist von allen derjenige, der Deutschland in seinen Filmen am hartnäckigsten den Rücken zukehrte. Auf die Frage, ob Lebenszeichen auch in Deutschland hätte spielen können, antwortete er: «Nein, niemals, denn in Pasing sind die Menschen nur Leute und die Plätze keinen entrückten Plätze. Denn der Film, das heißt, die Qualität der Geschehnisse, entspricht der Qualität der Schauplätze.» Entrückte Orte sind Kinolandschaften, die von Kunstfiguren bewohnt sind. Wenn Stroszek in Stroszek in Hinterhöfen singt, hat er mit Fritz Lang und F.W. Murnau zu tun und nichts mit dem Deutschland, dem sein blutiger Herbst bevorstand. Wie Wenders mit Alice in den Städten betritt Herzog Amerika gut gerüstet mit unzähligen Filmen im Kopf. Pflichtschuldig absolvieren ihre «Helden» die gleichen Stationen, das Empire State Building, die Vorstädte, die Highways über die weiten Landschaften. Während Wenders mit seinem coolen Reisenden eine kühle Distanz wahrt, sucht Herzog die Nähe zu den Menschen und Dingen. Er tut es, um das Scheitern der Hoffnung seiner dem Land so fremden Figuren umso vollkommener zu machen. Es ist ein europäisches, kafkaeskes Amerika, das er dabei entdeckt. Seine drei Glücksucher heben sich mit ihrer poetischen und deshalb zerbrechlichen Existenz vor diesem Hintergrund so deutlich ab, als kämen sie von einem anderen Stern.

Credits
  • Burkhard Driest
  • Eva Mattes
  • Bruno S. - Stroszek
  • Clemens Scheitz - Scheitz
  • Norbert Gruppe
  • Wilhelm von Homburg
  • Werner Herzog
  • Thomas Mauch
  • Edward Lachmann
  • Haymo Henry Heyder
  • Peter van Anft
  • Beate Mainka-Jellinghaus
  • Chet Atkins
  • Sonny Terry
  • Tom Paxton
Werner Herzog Filmproduktion München, ZDF Mainz

Werner Herzog Filmproduktion Türkenstraße 91 80799 München, Deutschland T 89 3304 0767 worldsales@wernerherzog.com

35 mm
col
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