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DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE

AT FILMS: Begehrenskarussell mit Ramon & Silvan Zürcher

23 Okt 2021

AT FILMS: Begehrenskarussell mit Ramon & Silvan Zürcher

 

Da wir leider technische Probleme mit unserem Podcast haben, hier die schriftliche Version des Interviews mit Ramon & Silvan Zürcher, den Regisseuren von DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE.

 

Wie hat es sich ergeben, dass ihr für euren neuen Film DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE beide als Regisseur geführt werdet? Wie war die Zusammenarbeit in diesem Fall?

 Ramon Zürcher: Das war ja unser zweiter Langspielfilm. 2013 haben wir DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN gedreht, da war die Aufteilung noch sehr klassisch, das heißt, ich habe das Drehbuch geschrieben, Regie geführt und den Schnitt gemacht. Das war ein Studentenprojekt, Silvan hat da die Produktion übernommen. Das heißt nicht, dass er nicht auf kreativer Ebene einbezogen war. Und als der Film dann auf Festivals gezeigt wurde, war ich sehr eingespannt und Silvan hatte Zeit, sich auf das nächste Projekt zu konzentrieren und hat dann begonnen, DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE zu schreiben. Die Geburt dieses Projekts war eigentlich aus Silvans Bauch. Von da an war die Arbeit sehr verflechtet und das hat sich bis hin zur Regiearbeit am Set so gehalten.

Man spürt ja eine Nähe zwischen DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE und DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN in gewissen Themen, im Setting, in einer Art und Weise zu erzählen in Bildern. Trotzdem hat es sehr lang gedauert. Acht Jahre liegen zwischen den beiden Filmen. Vielleicht könnt ihr sagen, wie diese Filme für euch zusammenhängen. Arbeitet ihr da an einer kontinuierlichen Geschichte? Und was war der Grund für diese 8 Jahre?

Ramon und Silvan Zürcher

Ramon Zürcher: Was am meisten Zeit konsumiert hat, war gar nicht das Drehbuchschreiben oder die Entwicklung des visuellen Konzepts, sondern ganz pragmatisch das Finden der finanziellen Mittel. Vieles hat da einfach nicht geklappt. In der Zwischenzeit haben wir auch unsere eigene Produktionsfirma gegründet. Unser Drehbuch hat in so sechs Jahren unterschiedliche Stadien durchgemacht. Es hätte auch schon nach zwei Jahren verfilmt werden können, aber das wäre dann ein anderer Film geworden. Und während Silvan DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE geschrieben hat, habe ich schon den dritten Teil unserer sogenannten Tier-Trilogie, DER SPATZ IM KAMIN geschrieben, den wir hoffentlich nächstes Jahr drehen. So vergehen acht Jahre sehr schnell. 

Silvan Zürcher: Wir haben dann begonnen unsere beiden Drehbücher auszutauschen und haben dazwischen und auch in Bezug zu DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN Gemeinsamkeiten entdeckt. Die Filme sind wie Geschwister. Man kann alle drei Filme auf vielen Ebenen vergleichen. Der erste spielt an einem Tag, der zweite an zwei Tagen, der dritte wird an drei Tagen spielen. Im Kern geht es um zwischenmenschliche Beziehungen, um Familie, um Mutter-Tochter-Beziehungen. Der erste Film spielt in einer Wohnung, der zweite Teil dreht sich um zwei Wohnkomplexe mit unterschiedlichen Wohnungen, also auch wieder kammerspielartige Grundstrukturen und beim dritten Teil geht es dann um ein Haus in einem Dorf. Auch unser narratives Gerüst nimmt zu. DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN war das Porträt einer Mutterfigur hauptsächlich, ein relativ statischer Film, also nicht nur was die Kamera betrifft, sondern auch bezüglich der Figurenentwicklung. DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE dreht sich schon mehr um Bewegung, nicht nur wegen des Umzugs, sondern auch psychologisch und im dritten Teil wird es am meisten Bewegung und Entwicklung geben. Diese drei Filme existieren für uns im Spektrum zwischen Statik und Bewegung. Wir funktionieren am besten, wenn wir uns selbst Regeln geben und Grenzen setzen. Da fühlen wir uns frei. In DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE sind das eben diese beiden Wohnkomplexe, in denen wir einen Figurenfächer entwerfen. Wir experimentieren da wie Wissenschaftler.

 Man könnte über sehr viele der Versatzstücke, mit denen ihr arbeitet, sprechen. Ich würde gern mal mit Räumen anfangen. Es ist für mich erstaunlich, wie ihr in den Wohnungskomplexen immer wieder neues entdeckt, neue Zusammenhänge, Perspektiven, Zwischenräume. Ihr habt uns für unsere MATERIALS ja auch einen FLOORPLAN geschickt mit eingezeichneten Kameraeinstellungen, das fand ich ziemlich beeindruckend. Wie geht ihr da vor? Wie sucht ihr eine Wohnung oder baut ihr euch die Räume?

 

Kamerapositionen

Ramon Zürcher: Es ist eine Annäherung.Im Drehbuch gibt es bereits Szenen, für die die räumliche Auflösung bereits sehr wichtig ist. Zum Beispiel, dass ein bestimmtes Zimmer an einem bestimmten Ort sein muss. Je weiter das Drehbuch ist desto konkreter werden die Räumlichkeiten. DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE haben wir eigentlich für Berliner Wohnungen geschrieben. Das heißt, dass man durch das Treppenhaus bei geöffneten Türen in andere Wohnungen schauen kann. Da hat man dann immer Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund. Und mit den statischen Einstellungen ist es dann interessant, sämtliche Ebenen des Bildes zu bespielen. Nun war die Produktionsrealität aber so, dass wir im Kanton Bern gedreht haben. Dort haben wir solche Wohnungen nicht gefunden und deshalb haben wir das alles in studioähnlichen Bedingungen aufgebaut. Mit Greenscreens vor den Fenstern und so weiter. Das war sehr anspruchsvoll, weil man alles immer kontrollieren musste. Von der Höhe der Waschbecken bis zur Breite der Türen. Was uns interessiert, ist gleichermaßen Raum zu zeigen und Raum zu tilgen. Durch unser enges Format, das Gegenteil von Cinema-Scope, sowie die vielen Naheinstellungen soll der Raum zu einem Psychenraum werden. Das betrifft zum Beispiel die Protagonistin Mara. Das finde ich beim Film auch das Interessante. Sobald etwas ein Bild wird, das auf die Leinwand projiziert wird, wird alles auch zu inneren Realitäten.

Dieses Innenleben, von dem ihr sprecht, das hat doch etwas sehr Mitteleuropäisches, ja Deutsches. Es gibt da eine Distanz und Bewegungen aufeinander zu, aber sie erfüllen sich nie. Alles verharrt im Möglichkeitsraum. Wie sehr interessiert euch das? Dieses Begehren, diese Unmöglichkeitsräume.

Mädchen und die Spinne

Silvan Zürcher: Begehren sollte nicht von Anfang an ein Herzstück des Films sein. Aber jetzt ist es stark zu sehen. Unerwidertes Begehren, das wie ein Frustrationsraum wird. Es gibt da viel Sehnsucht. Frustrierte Energien werden freigesetzt, es gibt passiv-aggressive Muster. Dabei geht es auch stark um diese nur scheinbaren Zweisamkeiten, die es in diesen engen Räumen nie wirklich geben kann, weil immer irgendwer gelauscht hat. Viele Figuren sind getrieben vom Wunsch, etwas mitzuteilen und sie machen die Erfahrung, dass das so nicht möglich ist und sie letztlich immer isoliert bleiben. Ob das jetzt eine Grundaussage zum Menschsein enthält, weiß ich nicht. Der Film konzentriert sich ja auf zwei Tage. Tage der Trennung, also eine Figur zieht aus einer Wohnung aus und wir konzentrieren uns sehr auf die Figur, die zurückbleibt.

 Ihr löst diese Frustrationsräume sehr viel über Blicke auf. Wie arbeitet ihr da mit den Schauspielern. Gibt es da Psychologie oder arbeitet ihr da eher mechanisch oder wie Robert Bresson?

DAS MÄDCHEN UND DIE SPINNE © VIENNALE

 Ramon Zürcher: Die Arbeit mit den Schauspielern beginnt vor dem Casting. Da gibt es das Drehbuch. Ich treffe dann die Schauspieler auf einen Kaffee. Da sprechen wir dann psychologisch über die Figuren und wir suchen Gemeinsamkeiten und so weiter. Ich finde es auch schön, wenn man nicht alles teilt, sondern wenn sich das ergänzt. Später ist es tatsächlich oft sehr technisch. Schon allein wegen der statischen Kamera. Man muss Punkte setzen, wo man hinsieht oder sich hinstellt. Man muss Rampen bauen, auf denen die Schauspieler stehen, damit es nicht zu viel oder zu wenig Kopfraum gibt. Je mehr Takes man macht desto psychologischer wird es wieder. Natürlich heftet dieses Begehren an den Gesichtern und Blicken der Schauspieler. Aber auch die Montage ist da sehr wichtig. Wer schaut wen an? Das Begehrenskarussell beginnt auf Drehbuchebene und setzt sich so fort. Dieses Begehren ist tatsächlich zur Essenz des Films geworden und es ist tatsächlich ein sehr gedeckeltes Begehren. Für uns ist das auch ein queeres Begehren, ein präsentes, stetig spürbares Begehren, das nie wirklich ausgelebt wird. Das ist wirklich eine wilde Karusellfahrt.