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VIENNALE 2021 Programmüberblick

12 Okt 2021

VIENNALE 2021 Programmüberblick

Auch in diesem Jahr 2021 können die Filmliebhaber*innen in Wien aufatmen. Wir schätzen uns glücklich, dass wir, den widrigen Umständen zum Trotz, die Kontinuität unserer Veranstaltung wahren und die 59. Ausgabe der Viennale mit viel Enthusiasmus und etwas mehr Ruhe vorbereiten konnten. Zu diesen Vorbereitungen gehören auch die Sicherheitsprotokolle, die den Zugang zu den Spielstätten vereinfachen werden: fünf prächtigen, klassischen Kinosälen, darunter der des Gartenbaukinos, das vollständig renoviert wiedereröffnen wird; worauf nicht nur das Wiener Publikum gewartet hat, sondern auch viele Freund*innen des Festivals und internationale Filmschaffende, die das Unterfangen in den vergangenen Monaten mit viel Beifall bedacht haben.
Die Viennale erweitert ihr barrierefreies Angebot und unternimmt damit einen weiteren Schritt auf dem Weg, jene Herausforderungen zu meistern, die die Inklusion an eine Gesellschaft der Gegenwart stellt: In der Urania werden vier Vorstellungen mit Audiodeskription für sehbeeinträchtigte Menschen angeboten werden und für Menschen mit Hörschwierigkeiten stehen nunmehr in allen Kinos induktive Höranlagen zur Verfügung.
Kino für Alle, dafür steht auch unserer traditionsreicher Überraschungsfilm am 26.10. um 11 Uhr im Gartenbaukino sowie die Erste Bank MehrWERT-Matinee am 31. 10. um 10.30 Uhr ebendort.
Wir erinnern in diesem Jahr an den 100. Geburtstag des berühmtesten Wiener Cinephilen, Amos Vogel, der seine Liebe für das Kino auf die andere Seite des Atlantiks gerettet und dort weitervermittelt hat. In Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Filmmuseum und unter tatkräftiger Beteiligung unterschiedlicher Kurator*innen aus verschiedenen Weltgegenden haben wir ein Programm kreiert, das zeitgenössisch an Vogels kritischen Geist und die subversive Stoßkraft seiner Programmierungen anknüpft.

Image of movie Futura
FUTURA
EL GRAN MOVIMENTO
EL GRAN MOVIMENTO

Gut 240 Filme umfasst das Programm, und ein Schwerpunkt desselben liegt auf der kurzen Form, traditionellerweise die Autor*innengattung unter den Filmen, da sie sowohl vielversprechenden Debütant*innen als auch etablierten Regisseur*innen immer wieder andere und immer wieder neue Möglichkeiten des Ausdrucks bietet.


Doch wirklich lebendig wird das auf elf intensive Tage verdichtete Programm erst in der Begegnung mit den Filmemacher*innen vor Ort; denn erst deren physische Anwesenheit und die Möglichkeit, sich in direktem Kontakt mit ihnen auszutauschen, macht ein Festival zu dem, was es ist. 

 Zahlreich sind in diesem Jahr die eingeladenen Gäste, und sie werden nicht nur die Säle der Kinos, sie werden auch die Winkel der Stadt mit ihrer Energie füllen.
Zu diesen Gästen gehört auch Terence Davies, der auf dem Festival in San Sebastián eben erst für sein Drehbuch zu seinem aktuellen Film BENEDICTION ausgezeichnet wurde. Davies wird in einem gemeinsam mit dem Drehbuchforum organisierten Werkstattgespräch Einblicke in seinen Schreibprozess gewähren. Im Rahmen dieser Veranstaltung wird Band drei der 2019 ins Leben gerufenen, filmkritischen Reihe präsentiert, die Terence Davies gewidmete TEXTUR #3.


Des Weiteren freuen wir uns auf Live-Musik im Kino. Musikalisch begleitet werden sowohl Filme, die im Rahmen der vom Filmarchiv Austria besorgten Monografie das herrliche Werk Henrik Galeens repräsentieren, als auch die beiden Programme, die im Rahmen der Historiografie dem Pionier des Filmtricks und Meister des Fantastischen, Segundo de Chomón, gewidmet sind.

Seit einiger Zeit sieht sich die Ökonomie des Kinos nicht nur mit Märkten und Rezeptionsgewohnheiten im Wandel, sondern auch mit neuen Akteur*innen in der Branche konfrontiert. Um über die Rolle und die Verantwortung von Filmfestivals im Rahmen der Ökonomie des Autor*innenkinos nachzudenken, haben wir ein Treffen organisiert, das sich an Fachleute ebenso richtet wie an jene, die einfach nur mehr über die Welt der Festivals erfahren wollen. Wir freuen uns dabei auf die Anwesenheit auch der Leiter großer Filmfeste wie der Berlinale und jenem in Locarno. Diese Veranstaltung ist Teil eines umfassenderen Programms, das es bis Ende nächsten Jahres unterneh- men wird, die statthabende Transitionsperiode grundlegend zu verstehen und die Notwendigkeiten zu identifizie- ren, die sich aus ihr ergeben.

KURZFILME

HYTTI NRO 6 | Juho Kuosmanen, Finnland/Deutschland/Estland/Russische Föderation 2021 | © Viennale
HYTTI NRO 6

Mit unserer Auswahl von 42 Filmen kurzer und mittlerer Länge – aufgeteilt in Programme respektive zusammengefasst unter thematischen beziehungsweise ästhetischen Gesichtspunkten – wollen wir die Bedeutung dieses Formats unterstreichen. Zu jenen acht Programmen gesellen sich noch einige Filme, die wie klassische Vorfilme jeweils einen Langfilm begleiten. Das Angebot insgesamt ist umfangreicher als in den Jahren zuvor.
Es handelt sich beim Kurzfilm um ein Filmformat, das sich der Logik der Vertriebswege und der kommerziellen Verwertbarkeit entzieht, was keinesfalls gleichbedeutend ist damit, dass es nur etwas für Ama- teur*innen oder Anfänger*innen wäre. Wir

Image of movie The Power of the Dog
THE POWER OF THE DOG

wollen den Kurzfilmen mehr Platz einräumen als bisher, weil sie trotz oder gerade wegen ihrer Längenbeschränkung anspruchsvoll und konzentriert und zugleich frei und abenteuerlich sind. Wir wollen ein künstlerisches Mittel in den Vordergrund rücken, das weit mehr als die meisten anderen für eine Suche nach Form und Ausdruck offen ist, das die Bereiche und die Sprachen der Kunst durchstreift, und das unserer Meinung nach gerade auf den Filmfestivals jenen Raum beanspruchen darf und soll, den es braucht, um seinem Publikum zu begegnen.
Wir zeigen Werke sowohl debütierender wie etablierter Regisseur*innen, von Apichatpong Weerasethakul bis zu Peter Tscherkassky, von Ute Aurand bis zu Friedl vom Gröller; wir zeigen Werke lang schon aktiver Filmemacher*innen, die bereits für ihre Langfilme Wertschätzung erfahren haben wie zum Beispiel Lois Patiño, Matías Piñiero, Salomé Lamas; wir zeigen Werke von Kurzfilm-Künstler*innen mit großer Erfahrung wie Morgan Quaintance und Daïchi Saïto. Viele der Filme - alle zum ersten Mal in Österreich zu sehen - werden im Rahmen der Viennale ihre Welturaufführung erleben; zu den meisten der Vorführungen erwarten wir Gäste. 
Die Titel der acht verschiedenen Programme – Inheritances, Reconfiguring the Earth, Human Material, The Scope of Dreams, Social Skins, Mysterious Objects, A Certain Intimacy, A Radiant Earth – liefern Assoziationsräume auch für die Langfilme der diesjährigen Auswahl.

FEATURES, PROGRAMMSCHWERPUNKTE

Image of movie Beatrix
BEATRIX

Unbestreitbar sprechen die ausgewählten Filme - vermittelt über die politischen, humanistischen und sozialen Gedanken, die sie entwickeln – von uns und von der Welt; wobei besondere Aufmerksamkeit, und das bestätigen mitunter sogar schon die Titel, der Erinnerung und der Geschichte zukommt.
„Das Kino hat jenes enorme Potenzial, das es uns erlaubt, Erkenntnisse neu zu formulieren und Wissen zu speichern“, sagt Fabrizio Ferraro. Ihm widmen wir ein Programm, eine Filmografie, die einen Querschnitt durch sein Werk bietet und darin jene historischen Figuren präsentiert, die ihn inspirier(t)en: Die Unerwünschten, die, wie Walter Benjamin in LES UNWANTED DE EUROPA, in Opposition zur herrschenden Meinung die Brüche, Widersprüche und Risse ihrer jeweiligen Gegenwart aufgezeigt haben.


Auch in Terence Davies’ elegantem Oeuvre gehen Erinnerung und Geschichte ineinander über; hier auf eine sehr persönliche und poetische Weise, die den Lebenskreislauf und das Vergehen von Zeit regelrecht zelebriert und ihnen einen unvergleichlichen Rhythmus verleiht.
Ein weiteres Thema, das unsere Gegenwart umtreibt, sind Erziehung und Bildung. Wir werden Herrn Bach- manns Klassenzimmer besuchen (HERR BACHMANN UND SEINE KLASSE von Maria Speth) und wir werden uns mit den mannigfachen Spaltungen der heutigen Gesellschaft vertraut machen, die, um nur diese beiden aus einer Vielzahl hervorzuheben, in NOUS von Alice Diop und in NOUS DISONS RÉVOLUTION von Klotz und Perceval ersichtlich werden. Generationen erklären sich uns vermittels des Films, in Arbeiten, die in ihrer Konzeption offen sind und solcherart konstruktiv wirken; beispielsweise FUTURA von Marcello, Munzi und Rohrwacher und QUIÉN LO IMPIDE von Jonás Trueba.

Letzterer ein außerordentliches Werk, zu dessen Entdeckung wir herzlich einladen: Der Film wurde über einen Zeitraum von vier Jahren mit acht Heranwachsenden als Hauptdarsteller*innen gedreht, die von sich erzählen, die sich „spielen“, die einander in diesem gemeinsam geschriebenen Spielfilm befragen – der wiederum ihre bisherigen Erfahrungen mit ihren Hoffnungen für und Erwartungen an die Zukunft verbindet. QUIEN LO IMPIDE feierte kürzlich beim Festival von San Sebastián Premiere und wird in Zusammenarbeit mit der Spanischen Botschaft in einer Sondervorführung bei der Viennale vorgestellt, in Anwesenheit des Regisseurs und einiger Darsteller*innen. Sie werden vor Ort sein, um mit dem Publikum in Dialog zu treten und ein Gespräch anzustoßen, das sich – wie der Film selbst – über die Grenzen der Leinwand hinaus gesellschaftlich ausweiten soll.

DRIVE MY CAR | HAMAGUCHI Ryusuke, Japan 2021 | © Viennale
DRIVE MY CAR

Sechs Langfilme und zehn Kurzfilme aus heimischer Produktion gehören zur diesjährigen Selektion der aktuellen Filme. Von diesen feiern einige im Rahmen der Viennale ihre Uraufführung und andere sind nach ihrer Präsentation auf ausländischen Festivals endlich auch „Zuhause“ zu sehen. Sechzehn Filme aus Österreich, die wir stolz und dankbar in den bereichernden Dialog mit der internationalen Auswahl aus dem Gegenwartskino stellen.
Zum Abschluss halten wir fest, dass die Filmauswahl individuelle und universelle Dramen ebenso umfasst wie alltägliche Vorkommnisse und außerordentliche Ereignisse; gestaltet nicht nur mit kritischer Intensität, sondern auch mit den Mitteln der Genres, mal komisch, mal grell und bunt, mal als Kammerspiel und verdichtet in der Abgeschiedenheit einer Wohnung, mal als Roadmovie oder in Gestalt einer Expedition. DRIVE MY CAR von Ryusuke Hamaguchi sei hier beispielhaft als eine von vielen Möglichkeiten genannt.

Oktober wird für diejenigen, die das Glück haben, in Wien zu leben - beziehungsweise sich dann dort aufzuhalten -, ein freigebiger Monat sein. Zu den zahlreichen Vorzügen dieser Stadt gehört nicht nur ihr lebendiges kulturelles Angebot, für das sie sorgt und um das sie sich kümmert, sondern auch der Umstand, dass sie die öffentliche Sphäre schätzt und schützt und es den Menschen ermöglicht, die Stadt als Raum der Gemeinsamkeit zu (er)leben. Und da ist sie nun, die Viennale, im Oktober. Um uns daran zu erinnern, dass das Kino eine subversive Kunst ist, die wir heute mehr denn je brauchen.

Österreichische Filme bei der V’21

BEATRIX Milena Czernovsky, Lilith Kraxner, Österreich 2021
GROßE FREIHEIT Sebastian Meise, Österreich/Deutschland 2021
KRAI Aleksey Lapin, Österreich 2021
MONEYBOYS C.B. Yi, Österreich/Frankreich/Belgien/Taiwan 2021
STORIES FROM THE SEA Jola Wieczorek, Österreich 2021
OUTSIDE NOISE Ted Fendt, Deutschland/Südkorea/Österreich 2021
2020 Friedl vom Gröller, Österreich 2021
AS TIME GOES BY Wilbirg Brainin-Donnenberg, Österreich 2021
NESTING ENDLESS Karl-Heinz Klopf, Österreich 2021
NULLO Jan Soldat, Österreich/Deutschland 2021
DAS RAD Friedl vom Gröller, Österreich 2021
SEKUNDENARBEITEN Christiana Perschon, Österreich 2021
SIE MÖCHTE, DASS ER GEHT, SIE MÖCHTE, DASS ER BLEIBT. Viki Kühn, Österreich/Deutschland 2021 SOCIAL SKILLS Henry Hills, Österreich/Belgien 2021
TRAIN AGAIN Peter Tscherkassky, Österreich 2021
UNDER THE MICROSCOPE Michaela Grill, Österreich/Kanada 2021