Nicht mehr fliehen

KATZELMACHER

Rainer Werner Fassbinder
BRD 1969
88 min
V'06

Irgendwo am Stadtrand von München eine Clique junger Leute. Sie hocken zusammen, gehen immer die gleichen Wege und reden dabei in ihrer kleinbürgerlichen Borniertheit über andere, wer mit wem und warum und welche Rolle das Geld dabei spielt. Die Gemeinheit, die in kurzen, geläufigen Sätzen zum Vorschein kommt, schafft eine eiskalte Distanz. Schlimm wird es erst, als Jorgos, der «Griech aus Griechenland», gespielt von Fassbinder, auftaucht, weil er ein Zimmer braucht, und die Frauen scharf auf ihn sind und die Männer neidig, weil an ihm mehr dran sein soll als an ihnen. Nur Marie (Schygulla) hält zu ihm, weil sie ihn lieb findet, denn ihm fehlt die Sprache, die den anderen nichts als eine Waffe ist, und das ist das Beste an ihm. Ein Jahr nach 1968 war die Frage nach dem politischen Auftrag der Wirklichkeitsdarstellung im Film, die schon die ganzen 60er Jahre über auftauchte, aktueller denn je. Fassbinder beantwortete die Frage damit, dass er sich genau überlege, für welches Publikum er seine Filme mache, denn damit sei ihre gesellschaftliche Bedeutung festgelegt. Gleichzeitig entzog er sich damit jedem politischen Auftrag; die «Grundungerechtigkeit», meinte er, zeige sich bereits im Privaten, das er in seinen Filmen in peinigender Genauigkeit offen legte. Das will er nicht nur in die Köpfe dringen lassen, wie Godard das macht, dessen Filme aber, meinte er, nicht wirklich das richtige Publikum erreichen, sondern auch in den Bauch. Über irgendwelche gesellschaftlichen Hintergründe direkt aufzuklären, mache keinen Sinn, «weil das die Leute dann wieder fressen». Das war Böll passiert, schon zur Zeit der Verfilmung von «Das Brot der frühen Jahre» wurde seine Bedeutung als geschmälert angesehen, weil eine restaurative Gesellschaft ihn als Alibi ihrer fortschrittlich-modernen Gesinnung missbrauche («Filmkritik» 6/1962, S. 264). Die Kritiker hatten mit Godard Morgenluft gewittert und wollten vom deutschen Film mehr als die richtige Gesinnung. Nur war noch immer unklarer als das Was, das kommen sollte, das Wie. Fassbinder brachte das Kunststück zustande, Erwartungen zuwider zu laufen und doch sattes Kino zu machen. Was Fassbinder über Liebe ist kälter als der Tod sagte, gilt auch für den nächsten, Katzelmacher : «Ich musste meinen Film einfach so machen, musste ihn stellenweise stilisieren und stellenweise nicht. Das schien mir die einzige Möglichkeit zu sein, den Film an die richtigen Leute zu bringen, von denen ich will, daß sie eine Wut kriegen, wie ich sie habe, und dann: schön musste er auch sein.» («Film» 8/1969, S. 20). Zu der Zeit «schönes» Kino machen zu wollen, nicht einmal «gutes», war mutig, die Kritiker haben es geschluckt. Sie waren einverstanden, «schön» als Alternative zu hergebrachten Normen sowohl ästhetisch als auch gesellschaftlich zu verstehen. «Schön ist für mich die antibürgerliche Haltung, schön ist eine anarchistische Gesellschaft» («Film» 12/1970, S. 20). Fassbinder hat keine anarchistischen Filme gemacht, das taten Kristl und andere, sondern die bürgerliche Haltung drastisch und kritisch vorgeführt. Das war die Grenze, die er sich setzte, und das war «schön». Fassbinder hatte sein Stück «Katzelmacher» auf dem antitheater inszeniert, den Film drehte er in 9 Tagen. Er widmete ihn Marieluise Fleißer, deren bayerische Syntax er für seine Kunstsprache verwendete. Die Balance aus formaler Distanz und performativer Nähe gibt Katzelmacher seine Überzeugungskraft.

Credits
  • Irm Hermann - Daughter Krista
  • Rainer Werner Fassbinder - Son-in-law Eugen
  • Lilith Ungerer - Lilith
  • Hanna Schygulla - Lucy
  • Hans Hirschmüller
  • Elga Sorbas
  • Doris Mattes
  • Waldemar Brem
  • Harry Baer
  • Rainer Werner Fassbinder nach seinem gleichnamigen Theaterstück
  • Dietrich Lohmann
  • Gottfried Hüngsberg
  • Rainer Werner Fassbinder
  • Peer Raben
  • Rainer Werner Fassbinder
Antitheater-X-Film
35 mm
bw
Related Movies