TOUTE RéVOLUTION EST UN COUP DE DéS

Jede Revolution ist ein Würfelwurf
Danièle Huillet
FRA 1977
10 min
V'04

Vor der Mauer des Friedhofs Pére Lachaise in Paris sitzen neun Männer und Frauen im Gras. Sie rezitieren ein Gedicht von Stéphane Mallarmé. Abwechselnd, zwischen den Personen hin und herspringend, entsteht ein Wortgefilde, eine luftige Textskulptur, skandiert und gehämmert, an der Grenze zum Verstummen. Gewidmet ist der Film einigen Freunden der Straubs. Und den Toten der Kommune von 1871. Zwiesprachen Literatur war nie für sie ein Drehbuchfundus. Die Basis ihrer Filme ist künstlerisch vorgeformtes Material. So zu verfahren, ist eine Entscheidung, die nicht allein das Kino angeht und seine Zukunft. Sie betrifft Abbildung generell. Sie läßt auch die Vorstellung erkennen von einem veränderten gesellschaftlichen Status von Kunst. Bei den Straubs bleibt der Vorwurf zum Film ein fremdes Bruchstück. Ein Widerspruch zum Kino. Damit nur nicht das alte einheitliche Kunstzeichen sich bilden kann, das die äußere Realität vertritt. Früher machten die Straubs, ein wenig ohnmächtig, Zeichen mit Motti, Widmungen und Erklärungen, damit man aufmerksam würde auf die politische Dimension ihrer Filme, gegen welche Gewalt sie sich richteten und daß sie als Filmer arbeiteten für eine bessere Ordnung. Mit Toute révolution est un coup de dés (Jede Revolution ist ein Würfelwurf) hat sich das geändert. Die Politik, die im Kino steckt, zeigt sich selbstbewußter. Nichts Aufgesetztes mehr, die Verschränkung ist total. Das Mallarmé-Gedicht, das der Film inszeniert, war ein Programm, alle Veränderungen enthaltend, die seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine neue poetische Sprache gründeten: Die Praxis von Sprache ist nicht reduzierbar auf Sinnproduktion. Gedichte von Mallarmé sind szenisch konzipiert. Nicht möglich auf dem Theater, sagt er, aber das Theater verlangend. Diese Unmöglichkeit realisiert der Film. Jede Einstellung ist ein Raum für kalkulierte Zufälle. Das Gedicht war zeitgenössisch mit der Pariser Kommune. Es registriert Umsturz auf eine für die Kunst einzig legitime Weise. Sie rüttelt an der alten Sprachordnung, auf die gesellschaftliche Ordnung aufbaut. (Frieda Grafe)